Veröffentlichung zum Thema Kunst und Ökologie (1996)  -  © Dr. Lebus,   Greifswald - Germany
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Von der Höhlenmalerei zur ökologischen Kunst.
Kurze Einblicke in das Verhältnis von Mensch und Natur

in der Bildenden Kunst  (1997)
[In: Art d´Eco. Kunst als Medium der Umweltbildung.

Hrsg. Andreas Pallenberg. Bonn: Wissenschaftsladen 1997, S. 16-31]

 

 

"Es gibt immer Leute, die Geometrie lieben,
und Leute, die Bäume lieben."
A. R. PENCK (1989, "Tendenz zur Archaik")

 Von der Höhlenmalerei spannt der Aufsatz den Bogen über einige Entwicklungsrichtungen in der bildenden Kunst im Verhältnis zu Landschaft - und oft damit gleichgesetzt Natur - hin zu gegenwärtigen Kunstreaktionen auf die menschenverschuldete Umweltmisere. Einzelne Gliederungspunkte beleuchten Magie, Tiermotive, Gartenkunst und Baumsymbolik in der Kunstgeschichte. Nach einer Skizze zum Globusmotiv und weltweiten Aktionen folgt ein knapper Rückblick auf die Ende der 60er Jahre aufkommende "Umweltkunst" und die aktuelle "ökologische Kunst". Thesen zum Verhältnis Ökologie - Kunst - Umweltbildung beschließen den Text, der eine Annäherung an das Phänomen Umweltkunst versucht.

Die Auswahl der Beispiele fällt schwer, aber noch schwieriger scheint die Auswahl geeigneter und reproduktionsfähiger Fotos. Sind es doch gerade die unzähligen Details, die Vielzahl künstlerischer Handschriften, die verblüffende Vielfalt an Werken und Aktionen, die wenigstens mit einem Vorurteil aufräumen können: dass nämlich Kunst Umweltthemen plakativ, dunkel, einfallslos gestaltet, nur Untergangsstimmungen illustriert. Die Potenz künstlerischer Gestaltung und ihre sensible Entdeckungsfreude erweisen sich in allen Beiträgen des vorliegenden Bandes. Chancen werden also sichtbar, Kunst als ein Medium der Umweltbildung zu nutzen. Vielleicht kann Kunst auf ihren phantastischen Reisen in die Wirklichkeiten am besten die Balance zwischen innerer und äußerer Natur wägen?
 

Natur existiert vor dem Auftreten des homo sapiens, dann mit ihm. Anfangs eine dunkle, undurchschaubare, nahe und gewalttätige Macht, mit der das einzelne Menschenschicksal elementar, willenlos und wissenslos zusammenhängt. Die erste Umweltbildung erfolgt nur instinktiv und dann durch immer bewussteres Wahrnehmen. Das ganzheitliche Leben mit der Natur in der älteren Steinzeit (Paläolithikum) bedingt - zurückschauend - ein Ausgeliefertsein und ist nicht romantisch zu verklären.

Interessant in unserem Zusammenhang aber ist, dass bald schon die "Kunst" als Medium der Naturaneignung entdeckt und ausgeformt wird. Zur unmittelbar praktischen Lebenssicherung entwickelt der Mensch die Magie (Jagd-/Fruchtbarkeitszauber) und gebiert damit die erste "Kunstform", in der Tanz, Gesang und bildliche Darstellung die Darsteller mit dem Dargestellten vereinen. Später werden die jüngeren Steinzeitmenschen sesshaft, domestizieren Tiere und Pflanzen, beginnen mit dem Ackerbau. Diese (neolithische) Revolution verschafft dem Höhlenwesen und umherstreunenden Jäger und Sammler die erste größere Denkpause. Der Ackerbauer tritt in die Geschichte ein.

"Agricultur" (lat.) verweist - wie das zugehörige Verb "colere" - auf die Quelle von Kultur: 1. urbar machen, pflanzen; 2. pflegen; 3. verbessern. Natur wird kultiviert, verliert ihre Fremdheit und erscheint immer mehr als das bezwingbare Gegenüber (vgl. 1. Buch Mose 1.26 und 1.28). Die Landschaft wird zum sozialen, bewirtschafteten, geografisch vermessenen Raum und politisch markierten Ort. Die Dörfer blühen auf, dann die urbanen Orte, Siedlungen wachsen zu antiken Städten. Bereits im Mittelalter setzen Landflucht und Landvertreibung ein. Derweil entfaltet der Ingenieurgeist seine Naturherrschaft in Bauarchitektur, Maschinentechnik und Kanalsystemen. Fortschritte sind unbestreitbar. Unausweichlich stellt sich die Frage, inwieweit mit den Jahrhunderten Lebensräume zu bloßen Wirtschafts- und Warenräumen degradieren, der Fluss zur Wasserstraße, der Wald zum Jagd- und Holzrevier?

Unsere Naturverhältnisse unterliegen Veränderungen. Schützen die zweite Haut (Kleidung) und dritte Haut (Behausung) den Menschen vor Naturunbilden, so befreien die industriellen Revolutionen des 19. und des 20. Jahrhunderts die Menschen allmählich von körperlichen Mühsalen. Moderne Technologien und Metropolen lösen gleichzeitig unsere Naturbindungen. So verstärkt sich etwa die Landflucht der Dorfbewohner, während inzwischen die Großstadtmasssen mit Stadtflucht reagieren.

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"Sanfter Tourismus", "Ökotouren", "Safaritrips", "Urlaub auf dem Lande", Trekking (mehrtägige Wanderungen in unberührten Gefilden), Survival Training (Überlebenskurse in der Wildnis), River-Rafting (Befahren von Wildwasser in Gummibooten) - viele Formen neuer "Naturbegegnung" und Erlebnisgier beleben die Sinne und das Geschäft. Vor dem Jahrtausendwechsel 2000 steigert sich westeuropäische Natursehnsucht zur Natursucht, verstärkt der zunehmende Drang in die Natur den Druck auf die Natur. Der ADAC tritt als Alleenfreund und Naturschützer auf, während ganze Baumreihen für die freie Fahrt ins Grüne geopfert werden. Irgendwann ersetzen (Fotodokument von Ullrich MERTENS "Statt-Ökologie", Marseille, ca. 1989) die an Häuserwände und Giebel gemalten Baumsilhouetten das zubetonierte Grün.

Die Kehrseiten und Langzeitfolgen unserer Eingriffe in biologische Lebensräume und Gleichgewichte spüren wir immer stärker. Verschlissen werden die letzten Naturreste und funktionierenden Kulturlandschaften. Aber halt. Zunehmend steigt die Akzeptanz von Naturschutzgebieten, Landschaftsschutzgebieten, Bioshärenreservaten, Naturparks und Nationalparks. Und ökologische Produktion, ökologisches Design, ökologischer Landbau und Ökomärkte sind nicht nur Traumgebilde. Natur gerät als vieldeutiger Begriff zum Zauberwort einer sich verschleißenden Moderne, trägt Abschied und Hoffnung gleichermaßen in sich.

So beweisen die "grünen" Kunstzeichen auch, dass die Sensibilisierung für unser Umweltverhalten in den beiden zurückliegenden Jahrzehnten große Sprünge gemacht hat, positiv betrachtet werden kann. Kein Grund zu Freudensprüngen, aber immerhin. Anteil an dieser zuversichtlich stimmenden Bewusstseinsentwicklung haben Kunst, Wissenschaft, grüne Politik und die verschiedensten Vermittlungsbemühungen (siehe Umweltbildung). Immer gab und gibt es zur Naturentfernung und -entfremdung geistige und gelebte Gegen- und Ausgleichsbewegungen: in Naturphilosophie, Buddhismus, ZEN, Romantik, Gartenkunst, Lebensreformer, Vegetarier, grüne Politik und eben in den Künsten...

Rüde Wissenschafts- oder Technikfeindlichkeit bieten keinen Ausweg. Denn, so der Künstler Tomas GÖRRIS, "das Paradies ist nie die Idee von etwas dschungelhaft-unberührtem gewesen, es ist der ´Garten Eden´, der gepflegt und bebaut werden muss, um erhalten zu werden und den Menschen als Teil dieser Welt zu erhalten." Für GÖRRIS muss sich die Kritik gesellschaftlicher Mechanismen, die die andauernde Umweltzerstörung decken, verbinden mit einem neuen dialogischen Naturverhältnis. "Intensive Hingabe und Aufmerksamkeit gegenüber den Zeichen und Prozessen der Natur, lauschende, liebevolle Zuwendung wird eine emotionale Bindung wachsen lassen." Nur müssen daraus andere Lebensmuster erwachsen. Den entgegengesetzten aber dominanten Vorgang benennen seit 1992 die Jahrestreffen umweltengagierter Schriftsteller in Deutschland als "Verkauf und Verlust der Seelenräume". Denn die aufgeklärte Suche nach dem Schönen, Guten und Wahren führt fatalerweise zur Expansion der gegenständlichen Welt, endet im Supermarkt der schönen guten Waren und beschert uns eine verheerte und vollgemüllte Erde. Alles hat, bis eben auf die Natur, seinen Preis.

Das Ausmaß der so genannten "Denaturierung" erfasst der menschliche Sinnesapparat nicht. Mit dem geschwinden Tempo von Produktion, Verkehr, Handels- und Tourismusströmen oder Medienbilder schwinden uns die Sinne. Mitunter schwindeln wir uns fleißig in die eigene Tasche, sehen weg, hören weg, tabuisieren. Helfen bei der notwendigen Sensibilisierung können die Spielformen umweltkritischer und ökologischer Kunst. "Umweltkunst" nährt sich aus verschiedenen Strömungen und entwirft mit kleinen Gesten oder großangelegten Experimenten eine andere, nämlich ökologische Kultur. Sicher, der Mär vom lediglich notwendigen positiven Denken ist zu misstrauen, denn Apokalypsen sind selten geworden und "ohne Welt-Ende kein neuer Welt-Anfang". Verteidigen aber sollte man hauptsächlich das "Prinzip Hoffnung" gemäß dem Moto: seien wir Realisten und verlangen das Unmöglich.

Auffallenderweise halten sich bei solchen Gegenwartsthemen die etablierten Kunstwissenschaften zurück. Ökologische Kunst gilt ihnen als Fremdwort, ja als Unwort. Ästhetik, Kunsttheorie und Philosophie diskutieren eher unanstößige Theorien der Simulation, der Postmoderne oder der Ästhetisierung der Lebenswelten. Bei genauem Hinsehen entpuppt sich manches als Leerformel, als geistreiche Spielerei, die dem Diktat des Unpolitischen und Unverbindlichen gehorcht. Die theoretische Reflexion der sozialen und ökologischen Talfahrt stellt aber eine zentrale Herausforderung dar. Vokabeln alleine genügen nicht mehr. Vor 20 Jahren waren "globales Denken" und "Umweltpolitik" alternative Reizwörter. Inzwischen haben sie ihren Gang durch die Instanzen beendet, über die Folgen läßt sich streiten. Wenn praktische Konsequenzen ausbleiben, so liegt es auch daran, dass Erkenntnis ohne emotionale Vermittlung kaum handlungsorientierend wirkt. So entstehen die weißen Flecken unserer Wahrnehmung (ebenso gilt, nur was ich weiß, das sehe ich). Debatten um den emotionalen IQ und soziale Kompetenz zielen in ähnliche Richtung. Genau das aber ist ein Arbeitsfeld von Kunst.

Gernot BÖHMEs Plädoyer "Für eine ökologische Naturästhetik" (1989), die das "Sichbefinden in Umwelten" zum Gegenstand hat, definiert das handlungsentlastete Spiel zur Kompetenzerweiterung als wesentlichste Funktion von Kunst. Kompetenz meint hier vornehmlich Wahrnehmungsfähigkeit. Ihr Vermögen besteht im differenzierten Wahrnehmen, im Einüben von Verhalten, im geistigen Ausschreiten von Spielräumen. Doch es gibt weiterreichende Impulse an unsere Phantasie, Handwerk und Geschick werden getestet, Chancen ausgelotet, Alternativen probiert und so wächst schließlich auch Handlungskompetenz.

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Das Umweltthema war nie Hauptthema des etablierten Kunstmarkts. Vielfach legt Kunst aber Pfade jenseits der Hauptstraßen, die aufzuspüren sind. Ihre Suche nach anderen Maßstäben stellt gängige Welt- und Werbebilder in Frage, um unser Leben nicht weiter auf Wachstumsziffern zu reduzieren. Als Wahrnehmungsschärfer, Schule ganzheitlichen Denkens und Fühlens, sowie als naturverträgliche Zukunftswerkstätte leisten einige Kunstrichtungen und engagierte Künstler ihren zeitgemäßen Beitrag zu "tragfähigen Entwicklungen" jenseits von Idyll und Katastrophe. Umweltkunst, Naturkunst und ökologische Kunst schließen vieles ein. Dazu zu rechnen sind beispielsweise:

·        ausgedehnte Aktionen (Allan KAPROWs Autoreifenhappening, 1961; Baldur GREINERs Skulpturenverbrennung in einer Einkaufspassage, 1991)

·        das großzügige Landschaftsarrangement (Michael HEIZERs "Isolated Mass/Circumflex No. 9, Nevada 1968"; James TURRELs "Roden Crater", seit 1977)

·        das andächtige Zellebrieren vergänglicher Naturschönheit (Andy GOLDSWORTHY oder Bob VERSCHUREN)

·        künstlerische Darstellungsformen mit Pflanzen (Herman de VRIES Ausstellungs- und Buchprojekt "natural relations", 1982ff.; viele Aktionen und Sammlungen von Lili FISCHER wie Drehbuch "Kraut & Zauber", "Kräuterbeutel für Kranke in Gesellschaft", "Freiburger Schrein")

·        Kraft- und Meditationsfelder (Timm ULRICHS´ "Steine in Wurfweite", 1977; Solveig BOLDUANs "Gefesselte Steine", Altdöbern 1993)

·        der einfühlende Landschaftsentwurf zwecks Renaturierung bzw. Rekultivierung (Helen & Newton HARRISONs Bitterfelder Projekt "Muldeauen")

·        kritische Inszenierungen der Industrieproduktkultur (Edward KIENHOLZ´ Junk-art und Tableaux seit den 60er Jahren; Bernd LÖBACH-HINWEISERs "Museum für Wegwerfkultur" in Weddel, seit 1983)

·        grafische Werke (Klaus STAECKs Umweltpostkarten seit den 70er Jahren; Jürgen SCHIEFERDECKERs "Requiem für eine Landschaft", 1989)

·        plastische Arbeiten und Environments (CÉSARs Autocompressionen, 1959ff.; Felix DROESEs "Horizont", 1990)

·        internationale Wettbewerbe (slowakische Triennale "EkoPlagat", seit 1978)

·        unzählige workshops ("Jahreszeiten" bei Winnekendonk/Niederrhein, 1985; "Natur-Kunst. Schutz-Zeichen" seit 1992 im Müritz-Nationalpark)

·        Ausstellungsfolgen (etwa des Umweltbundesamtes Berlin seit 1985; Jürgen SCHWEINEBRADENs Serie "Kunst & Ökologie", begonnen 1995 in Plüschow und Plön)

·        Projekte zwischen Kunst und Wissenschaft (das 1993 von Bea VOIGT in München angeschobenen Vorhaben "Kunst-Kultur-Ökologie")

·        grüne Filmtage (seit 1984 internationale "ökomedia" in Freiburg; Filmtage der GRÜNEN LIGA seit 1992 in Dresden)

·        das bundesweite Umwelt-Theater-Festival (Bonner Wissenschaftsladen, seit 1994)

·        Förderpreise für Umwelt- und Naturfotografie (z.B. des europäischen Handelsunternehmens VEDES), Kunstpreise (AEG Kunstpreis Ökologie, seit 1988), Umwelt-Literaturpreise (bspw. in Nordrhein-Westfalen oder Brandenburg)

·        Brodowiner Gespräche (unter Reimar GILSENBACH, 1982-1989) und Jahrestagungen umweltengagierter Schriftsteller Deutschlands (unter Lia PIRSKAWITZ; seit 1992)

·        Kunstdiskussionen (3. Kunstgespräch Buchheim zu Kunst & Ökologie, 1987; Kunstsymposien Kultur und Ökologie, Wernigerode, 1993

·        Sachverständigenforen (Tagung des Umweltministeriums Brandenburg, 1992; "Umwelt - Kultur - Zukunft", Magdeburg, 1994)

·        künstlerisch beeinflusste Aktivitäten von Kindern und Jugendlichen (Berliner Jugendgruppe "Kunst und Natur" unter Gilbert WALIGORA; Umweltstempelversand Hof) und, und, und...

Nehmen wir an dieser Stelle eine These vorweg. Nach dem informativ-agitatorischen Aufbruch Ende der 60er Jahre ist eindeutig festzustellen, dass die umweltkünstlerischen Äußerungen immer mehr an formalem und geistigem Format gewinnen, an internationalem Zuschnitt, sich auf alternative Gestaltungsangebote und authentische Ursprünge besinnen, auch auf ihre Herkunft aus geschichtlicher Vorzeit.

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Magie. In den dunklen Höhlen von Altamira (Spanien), Lascaux oder der jüngst entdeckten Grotte Chauvet (beide Frankreich) sind sie zu bewundern: die gezeichneten, eingeritzten prähistorischen Produkte einer kollektiven Technik, mit der der Stamm seine Wünsche bildhaft modelliert. Die Höhlenmalereien sind sensorische, wirklichkeitsgetreue Gegenstandsbilder, die im magischen Akt der Selbstvergewisserung und Lebensfürsorge dienen (Befriedigung von Vitalbedürfnissen und Kommunikation - Georg KNEPLER). In der jüngeren Steinzeit entwickelt sich das dualistische Denken, erfolgt die Trennung zwischen Subjekt und Objekt, entsteht das menschliche Zweiweltensystem von Ich und Es, Innen und Außen, wandelt sich die Magie zum Animismus (Geisterverehrung). Im Totem-Kult werden Tiere oder Pflanzen als Schutzzeichen ausgewählt. Der Mensch begreift seine Naturabhängigkeit und schafft bewusst Riten und Kulthandlungen, die um gutes Wetter, Ernte usw. bitten oder den Weg der Toten begleiten wollen. Anstelle des Abbilds steht das Sinnbild, die Zeichnungen abstrahieren, spielen mit geometrischen Formen. Große Megalithbauten entstehen wie Dolmen, Hünengräber, Steinkreise und Hügelgräber. Das Rundheiligtum von Stonehenge in Salisbury/England erinnert noch heute ehrfurchtsvoll an die Kulte unserer Ahnen. Wen wundert es, wenn Werbung (Opel) an dieser magischen Faszination teilhaben möchte? Kunst und Werbung nutzen die suggestive und auratische Kraft der Bilder, gegen die etwa biblisches Bilderverbot, protestantische Bilderstürmerei oder neuzeitliche Bilderzensur ankämpfen.

Viele Kulte und Riten prägen im Mittelalter das Alltagsleben, werden per kirchlichem Bußkatalog abgefragt und gesühnt. Unter der Oberfläche moderner Religionen und im ländlichen Raum (von der Taufe über das Erntedankfest bis zur Totenfeier) beeinflussen Magie und Animismus bis heute Kommunikationsmuster und Strukturen sozialen Verhaltens, verknüpfen den einzelnen mit der Gemeinschaft und der Natur. Sigmund FREUD unterscheidet vier Phasen aufsteigender Erkenntnis: -Magie, -Animismus, -Religion und -Wissenschaft, wobei insbesondere der Kunst eine Sonderrolle zukommt ("Totem und Tabu", 1913): "Mit Recht spricht man vom Zauber der Kunst und vergleicht den Künstler mit einem Zauberer. Aber dieser Vergleich ist vielleicht bedeutsamer, als er zu sein beansprucht." Diese Ursprünge bleiben in Kunst lebendig.

Von Albrecht ALTDORFERs heidnischer "Landschaft mit Satyrfamilie" (1507) über John CONSTABLEs religiösen Naturalismus bis hin zu Franz RADZIWILLs naturgewaltiger Technikkritik gibt es durchgängige Tendenzen, die naturbeseelten Anschauungen verpflichtet sind.
Zu ihnen gehört Joseph BEUYS, der die Kluft zwischen Materiellem und Spirituellem überwindet und das gespaltene Denken in neuer Begrifflichkeit vereint (erweiterter Kunstbegriff, Kunst als soziale Plastik, Wärmeskulptur, dritter Weg in Politik und Wirtschaft). Der Mensch als Schöpfer soll evolutionär zusammendenken = plastisch gestalten, denn Gestaltung in der Gesellschaft überhaupt brauche plastisches Vermögen. Die Gleichsetzung von Kunst = Ökologie erfolgt, da beide auf unsere plurale wie ganzheitliche Welt zielen. Das Umdenken in der Kunst unterstützt BEUYS mit entsprechender Materialwahl (Filz, Fett, Wachs) und Motivwahl (Tiere, Kreuz, Baum-Stein-Paare). Wiederholt agiert er als Schamane, als Beschwörer, als Nomade. Werke wie "Das Rudel" (1969) und "Sonnenkreuz" (1947/48) beleben bewusst den Naturmythos.

Die Sonne als die kosmische Kraft rücken uns Heutigen erst wieder die gefährliche UV-Strahlung oder die Chancen der Solartechnik ins Bewusstsein. Der Sonnenkult, überliefert in Gesängen des ägyptischen Königs ECHNATON (um 1350 v. Chr.) und Franz von ASSISIs (um 1200), scheint vergessen. NILS-UDO steht mit seiner anmutenden Naturkunst in dieser archaischen Tradition, wenn er eine ostwärtsgerichtete "Sonnenskulptur" (1979) installiert oder in seinem bei München angelegtem "Tal der blauen Blume" (1995/96) die Sonnenwenden in der Eingangspforte einfängt.

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Die Beispiele lassen sich fortsetzen. Nehmen wir Steinsetzungen, Felstempel, Ruinenstätten, Pyramidenkultur und Grenzsteine bis hin zu den Steinspuren der Land-art wie Robert SMITHSONs "Spiral Jetty" (1970) und Richard LONGs "Connemara Sculpture" (1971). Unter dem Motto "Erdwall - Hünenstein" - lud ein deutsch-japanisches Symposium 1996 in das Warnow-Durchbruchstal bei Groß Görnow/Groß Raden ein. Vorgeschichtliche Bodendenkmale wurden in einen "archäologischen Kunstpfad" aus Skulpturen, Objekten und Installationen einbezogen. Im Kontakt mit Historikern wurden Wurzeln mitteleuropäischer Kultur aufgedeckt. Die japanischen Künstler folgten der "Spur der Steine" aus Sicht ihrer Yomon-Kultur (erste japanische Ackerbauernkultur). Oder denken wir an mythische Bezüge bei Michael FLATAUs "Steinzeichen", Reinhard GRAEFEs "Tabu" oder Klaus HEIDs "Lagerplatz" (alle drei 1992 im Müritz-Nationalpark entstanden). Immer geht es darum, mit Kunst Assoziationsfelder und transzendente Räume zu schaffen, die dem einlinigen Logos entsagen und Bilder für das lebende Wunder Mutter Erde und Vergänglichkeit prägen. Diese Kunst, deren Haus die unfassbare Natur ist, versucht "...die Zukunft offen zu halten!" (Herbert GRUHL) Denn wie wirbt, zwar mit anderer Absicht, der Toyota-Spot mit roten Brüllaffen: "Nichts ist unmöööglich..."
 

Tiermotive. Unsere wenig betuchten Vorfahren verehrten allerlei Getier als Totem und erwiesen der Natur ihren Respekt. Die "zivilisierte" Menschheit kennt heute Tiere vorrangig aus Filmen, vom Zoo, aus Werbung, von der häuslichen Speisekarte oder als teure Delikatesse. Die Neuzeit hängt an anderen Fetischen, der Konsument echauffiert sich beim Tanz um das goldene Kalb (vgl. 2. Buch Mose, 32.Kapitel).

Derweil kommen die Tiere unter die Räder. Eine NABU-Anzeige (1992) fragt: "Natürliche Auslese?" und rechnet auf, dass pro Jahr und Straßenkilometer in Deutschland ein Igel überfahren wird. Der US-Amerikaner Roger M.KNUTSON gab 1993 als Biologe eine Art Tier-Bestimmungsbuch heraus, und zwar von plattgefahrenen Tieren. Ob drei- oder zweidimensional -Tier(bilder) begegnen uns, auch in der Kunstgeschichte, unentwegt.

Die Tiersymbolik ist in allen Kulturen tief verankert und erschließt sich nur über ihren magischen Ursprung. Bilder und Jagdzauber bannen die gefährlichen Tiere und übertragen ihre Kraft oder andere Attribute auf den Menschen - beim Löwen Stärke, Eleganz, majestätisches Aussehen.
Das Löwenmotiv findet sich beispielsweise am Löwentor in Boghazkoy, in Mykene, auf Darstellungen wie "Assurnasipal auf Löwenjagd", am Ischtar-Tor und Löwenfries der Prozessionsstraße von Babylon, auf byzantinischem Seidenstoff und im Krönungsmantel der deutschen Kaiser. 1995 gedachte eine Braunschweiger Ausstellung des 800. Todestages von Heinrich dem Löwen, Herzog von Sachsen und Bayern. Die Medienwelt von heute kennt Löwen(Bilder) aus Tierfotografie und -filmen oder dem Walt DISNEY Trickfilm "Der König der Löwen". Und aus der Werbung - siehe Automarke "Peugeot" oder "Trink fix"-Kakaopulver.

Schon in der Grundschule kann erfindungsreicher Unterricht mit interessanten Fragestellungen aufmerksam machen auf Tiere, Nahrungsketten oder Artenschutz. Schüler können Tiere und Tierverhalten zeichnen, modellieren, beschreiben. Tiere lassen sich beobachten, belauschen, zählen. Geschichten können erzählt und nachgespielt werden. Ratespiele sind möglich, später fotografische Aufgaben, Werbe- und Filmanalysen, bis hin zum thematischen Kurzvideo in eigener Regie. Alles künstlerische Exkurse in die Mensch-Tier-Geschichte...

In der bildenden Kunst sind Tierfiguren und Jagdszenen weit verbreitet: auf Höhlenzeichnungen, Reliquien, Grabbeigaben, Teppichen, als Waffenzierde, Schilderungen von Jagd und Jagdherrschaften, monumentale Jagdstücke und naturalistische Jagdstilleben. Sie demonstrieren vor allem eines: das Tier gilt als Beute und Objekt, wie in zahllosen Tierbüchern, die die Fauna abbilden und beschreiben. Zur Palette gehören ebenso Wildschutzmotive etwa in der Düsseldorfer Malerei nach 1830 (C. W. HÜBNERs Karikatur "Das Jagdrecht", 1848).

Immer deutlicher zwingt der Mensch die Tiere in seine Abhängigkeit. Der "Tierbezwinger" fordert die Kreaturen hinaus und wird seit dem 17. Jahrhundert im Motiv der "verkehrten Welt" selbst von Tieren überwältigt. Michael SOWA sperrt die rücksichtslosen Erdenbürger in einen Menschenpark ("homo sapiens", ca.1992). Der Rollentausch ist nur künstlerische Fiktion. Denn seit langem landen die Tiere in den Aquarien, Terrarien oder ausgestopft in Sammlungen der botanischen Institute und Dioramen. In den Naturkundemuseen zum Schaustück degradiert, künden sie vom "Abgesang auf die Natur" (ZEITmagazin Nr. 14/1994). Den Lobgesang auf eine heile Tierwelt stimmt nur die Werbung an. Parallel dazu wächst die "Rote Liste" der gefährdeten Arten (in Deutschland ein Viertel der 45.000 Tierarten). Dabei begann das Mensch-Tier-Verhältnis mit Angst, Distanz, Achtung, Verehrung. Die gewohnte Hierarchie zwischen "toter" Natur, Pflanze, Tier und Mensch durchbricht ein Franz von ASSISI, der alle Geschöpfe gleichberechtigt behandelt und auf dessen Todestag am 4. Oktober (1226) der jährliche Welttierschutztag fällt. Zu einem neuen Zusammengehörigkeitsgefühl und Miteinander von Mensch und Tier kann Kunst partiell beitragen.

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Künstler sensibilisieren für dieses andere Verhältnis zu den göttlichen Geschöpfen, im 20.Jahrhunderts beispielsweise die Bildhauer Philipp HARTH oder Ewald MATARÉ. So wollen MATARÉs Tierplastiken im wahrsten Wortsinne wieder (be)greifbar werden, den Tastsinn von Blinden ansprechen, während HARTH die widernatürliche Dressur und Haltung von Tieren gar verbal kritisiert. In der Malerei beschreitet Franz MARC den Weg zur "Animalisierung des Kunstempfindens", versucht seelische Naturkräfte zur dynamischen Anschauung zu bringen, u. a. mittels durchlässiger Konturen und expressivem Gestus.

Direkt, anklagend, ironisch, grotesk - auch so artikuliert sich umweltkünstlerisches Engagement. Der Karikaturist Heinz BEHLING siedelt den "beliebten" röhrenden Hirsch in eine "Große Landschaft mit Kippe" (ca.1986). Der Grafiker Klaus STAECK verblüfft mit der Aussage "Der Borkenkäfer Mensch ist der größte Forstschädling" (1984), oder STAECK sperrt DÜRERs akribisch gezeichneten Hasen "Zum Welttierschutztag" (1987) in ein Holzkorsett.

"Animal-art" betritt als neue Kunstströmung in den 70er Jahren die internationale Bühne. Animal-art arbeitet mit leibhaftigen Tieren und wendet sich vom toten Kunstwerk zum wirklichkeitsnahen Kunstprozess. Ein dynamischer Vorgang, der die Auflösung evolutionärer Schöpfung in gentechnische Informationspuzzle ins Bild rückt, einschließlich der Vorgeschichte künstlicher Züchtungen. Realistisch inszeniert, mit totem und lebendem Getier, schockierend mitunter - aber als artifizielles Wahrnehmungsangebot und nicht als militante Tierschutzveranstaltung. So zeigt die Grazer Ausstellung "ANIMAL ART" (1987) das Aufsteigen von Brieftauben (Paul KOOS), eingesperrte Hühner in musealer Umgebung (Henning CHRISTIANSEN), oder Fotos von einem tief gefrorenen Brathähnchen "Blinky, the friendly hen" (Jefrey VALLANCE).

BEUYS besaß sein Leben lang ein inniges Verhältnis zu Tieren und Pflanzen, interessierte sich naturwissenschaftlich und besann sich auf einfache Materialien und Vorgänge. So einfach, so unnormal, so Aufsehen erregend wie bei der Aktion "I like America and America likes me" (New York, 1974). Vier Tage teilte er sich einen Galerieraum mit einem wilden Kojoten, um sich aneinander zu gewöhnen. Eingehüllt in Filz wird aus der Distanz naher Kontakt, findet eine Versöhnung statt mit einem Tier, welches die Indianer göttlich verehren, die Weißen als gemein gnadenlos jagen. Ein typisch beuys´sches Gegenbild...

Einige Ansätze, die ebenfalls ausgetretene Kunstpfade verlassen, reichen in die praktische Umweltgestaltung und beziehen Tiere symbolisch oder faktisch ein. Maria BUCHNER sät (1987) wilde Mohnblumensamen in Form einer Eidechse auf einem Feld aus, schafft mit der rot leuchtenden Figur eine "nutzlose Schönheit". Interessanter Nebeneffekt war für sie, dass Mitwirken der Naturlaunen zu erfahren - etwa den Einfluss des Wetters und des Rehwilds auf Saat und Wuchs des Mohns. Matto H. BARFUSS legt (1994 ff.) mit "Kondor und Delphin" eine acht Kilometer lange Mischhecke in Tierform zur Belebung des Lauchhammer Braunkohletagebaus an. Betty BEAUMONTs "Ocean Landmark Project" (1978ff.) errichtet aus industriellen Abprodukten ein neues Meeresriff - ein Ökosystem für Wasserflora und -fauna von Künstlerinnenhand in Kooperation mit Naturwissenschaftlern.

Jede Landschaftsgestaltung ist ein Arrangement in und mit der Natur und reflektiert über die Natur. Doch erst an der Schwelle zum 21.Jahrhundert bringt bildende Kunst neben vornehmlich optischen Gesichtspunkte allmählich ökologische Aspekte ins Spiel. Sowohl die strenge französische als auch die stimmungsreiche englische Gartenkunst folgen noch ganz anderen Programmen.
 

Gartenkunst. Gärten als künstlich angelegte, umfriedete, bepflanzte und bewässerte Höfe, Landschaftsareale oder groß angelegte Parks spiegeln ein ideelles (religiöses, weltanschauliches) Programm. Anfangs war ihr magischer Reiz allgegenwärtig und werden heilige Haine, Quellen und Bäume, Baumkult sowie andere Riten sogar räumlich eingebunden.

Ihr Gebrauch (als Paradies, Friedhof, Nutzgarten, Jagdrevier, Spiel-, Liebes-, Repräsentations-, Erholungs- oder Freizeitstätte) variiert im Laufe der Jahrhunderte. Erkennt man den Gärten eine untergeordnete biologische Bedeutung zu, so koppelt sich das zumeist mit dem ökonomischen Nutzen (Zucht von Nutz- oder Zierhölzern, Gewinn von Obst, Blumen und Kräutern). Die Anlagen beziehen vorhandene Gegebenheiten (Bodenrelief, Wasserläufe, Gehölze) ein und erfüllen eine minimale ökologische Aufgabe (Kleinklima, teils Lebensraum für Flora und Fauna). Mit dieser Funktionsfülle wandeln, mischen und akzentuieren sich je die künstlerisch-ästhetischen Vorgaben (streng geometrische Kunstfigur oder landschaftsverbundene Naturform, statische Ortsbeziehung oder dynamisches Bilderlebnis, offene oder geschlossene Perspektive).

Gartenkunst entwickelt sich seit Jahrhunderten also als ein praktisch-ästhetisches Verhältnis zur Natur, allerdings ohne ökologische Absicht. "Natur als Kunst", oder eben "Kunst als Natur" - dahinter stehen unterscheidbare Intentionen, die von bloßer Schwärmerei, wohlgefälliger Staffage bis zu ausgefeilten philosophischen Konzepten und handfester Wirtschaftlichkeit reichen. Ökonomisches Denken spiegelt sich im Nutzgarten (Obst...Kräuter), in physiokratischer nationalökonomischer Gesinnung (welche die Bodenkultur als den entscheidenden Quell von Reichtum definiert), oder in Überlegungen zu Aufwand und Kosten der Gartengestaltung.

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Die wechselreiche Strecke, mal geradlinig, mal labyrinthisch, mal verschlungen, gleicht den gärtnerischen Wegen und führt Ende des 18.Jahrhunderts zum englischen Landschaftsgarten. Entscheidende Impulse geben Lancelot BROWN ("Darstellung der Idee des Natürlichen") und Humphrey REPTON ("Park soll Natur sein").

In Deutschland liefern Johann Georg SULZER und Christian Cay Lorenz HIRSCHFELD den theoretischen Hintergrund. Hier entsteht der erste englische Landschaftsgarten entsteht ab 1770 in Wörlitz nach Plänen von Johann Friedrich EYSERBECK. Wer durch die Wörlitzer Naturkulissen wandelt und den Pfaden folgt, stößt irgendwann auf den Warnaltar von 1800, dessen mahnenden Text Manfred BUTZMANN mittels Steinabrieb (Frottage, 1990) als Plakat und Programm vertreibt: "Wanderer achte Natur und Kunst und schone ihre Werke." Eine demütige Geste.

Selbst die zwei Löwen, die die Freitreppe des Gartenschlosses Muskau als überkommene Machtsymbole schmücken, lassen sich als Verbeugung vor den Naturkräften lesen. Der schwärmerischen "Idee des Natürlichen" verpflichtet, schafft Herman Fürst von PÜCKLER mit seinem Muskauer Garten ein beeindruckendes Gesamtkunstwerk mit tendenziell demokratischem Programm. Die gute Absicht dieser Gärten sei nicht verurteilt, ...und ihr preußisch kurzgeschorener Rasen nicht übersehen!

Dem historischen Widerspruch etwa zwischen Dessauer Gartenreich und nahen Natur belassenen Elbauen, also zwischen Kunst und Natur, gibt Immanuel KANT in seiner "Kritik der Urteilskraft" (1790) theoretische Gestalt. Dort lobt er den englischen Garten, der zwanghafte Regelmäßigkeit vermeidet und das freie interesselose Spiel der Vorstellungen erlaubt. Doch diese menschliche Kunstwelt erreicht nicht die "Mannigfaltigkeiten bis zur Üppigkeit verschwenderische Natur, die keinem Zwang künstlicher Regeln unterworfen ist" (Stuttgart: Reclam 1986, S.131ff.). KANT setzt die Naturteleologie (objektive Zweckmäßigkeit) vor die ästhetische Zweckmäßigkeit (subjektives formales Wohlgefallen). Er begründet, dass die Empfänglichkeit des Naturerhabenen (wilde Größe) mehr Kultur (Verstand überschreitende Vernunft) erfordere, als der Gefallen am Naturschönen, welches aber wiederum der Kunstschönheit vorzuziehen sei (ebenda, S.224).

Das "natürlich Kunstschöne" hat bis heute die meisten Fürsprecher. Ohne die englischen Landschaftsparks wäre unsere Kulturlandschaft zweifellos ärmer. Friedrich Ludwig von SCKELL gestaltet den englischen Park in München/Isarauen, Peter Joseph LENNE entwirft auf der über 100 km2 Potsdamer Insel für viele Parkgruppen und plant eine vernetzte großräumige Landschaftsarchitektur, die allerdings unvollendet blieb. An deren Stelle wachsen heute andere "Parks", von Autoparks, über Erlebnisparks bis hin zum Lenné-Park, einem künftigen Potsdamer Einkaufszentrum...

Schon die landschaftsgestaltende Bewegung des späten 18. und des 19.Jahrhunderts beeinflusst immer stärker urbane (Infra)Strukturen. Die durch Industriewachstum und Bevölkerungszunahme unwirtlicher werdenden Städte erzeugen zusätzlich Bedürfnisse nach innerstädtischem Grün. Volks- und Stadtparks gewinnen an Bedeutung und seit 1900 entstehen die so genannten Gartenstädte als durch Grünkosmetik aufgelockerte Stadttrabanten. Zu Beginn des 20.Jahrhunderts triumphiert das Pathos funktionaler Sachlichkeit und zweckbestimmter Räume. Bis heute stehen die wirtschaftlichen und kommunalen Egoismen oft quer zu naturschützerischen Erwägungen.

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Kunsttheorie und Ästhetik preisen noch immer das Ideal des englischen Gartens, obgleich Landschaftsplanung zur naturnahen Gestaltung übergeht, die auf Natur belassene Selbstorganisation setzt, Wildnis zulässt, Streuobstwiesen nicht ausspart und Biotope anlegt. Es gibt Untersuchungen, nach denen die Savanne (mit ihren Säumen, Baumgruppen und überschaubarem Flachland) die menschlichen Wahrnehmungen am meisten anspricht. Das träfe analog auf den englischen Garten zu, denunziert aber andere (natürliche) Gestaltungsformen. Behält der englische Garten zwar eine Berechtigung, so bricht Landschaftsplanung doch zu anderen Ufern auf. Der englische Garten fungiert zumindest als Bindeglied zwischen französischem Garten und Naturbelassenheit. Oder anders gesagt, er vermittelt zwischen den "Leuten, die Geometrie lieben, und den Leuten, die Bäume lieben".
 

Bäume. Bäume kennen wir als
- Naturwesen (Photosynthese, Biotop, Luft-, Wasser-, Boden-, Lärm- und Staubfilter),
- als Wirtschaftsfaktor (Brennstoff, Nutzholz, nachwachsender Rohstoff, Früchte)
- und als uraltes Kultursymbol. Stamm, Äste, Blattwerk, Krone und Spitze sind als Bilder tief in unserer Sprache verwurzelt. Bäume verbinden (Synthese) Himmel, Wasser und Erde, öffnen den Zugang zur Sonne. Der Baum (Weltenzentrum) reicht in Höhe und Tiefe, in Wasser, Boden und Luft. Seine Ringe (Jahresuhr) messen die begrenzte Zeit, seine Äste sind in die Ewigkeit gestreckt. Bäume (weibliches Prinzip) symbolisieren ebenso die beschützende und tragende Mutter, den Nährboden und das fruchtbringende Wasser.

Bäume sind für viele der Inbegriff von Natur bzw. Naturrest. Breiter Bürgerprotest formiert sich zuallererst bei bedrohten Bäume in unmittelbarer Nachbarschaft. Nicht von ungefähr argumentiert man in der Umweltbewegung so häufig mit der bildlichen Redewendung "säge nicht am Ast, auf dem du sitzt".

                                                           Abb. Baum-Kreuz   © K.-J. LEBUS, 1996

 

Lebensbaum

 

 

 

 

 

Baum der Erkenntnis

 

 

immergrüne Baum

 

 

Tugendbaum

 

Jahresringe

Baum des Lichts

Wasser + Sonne

 

singende Baum

 

Jahresbaum

Baumsymbolik

Weltenbaum

 

Marterpfahl

 

Jahreszeiten

Opferbaum

Erde + Himmel

 

Laster-/Sündenbaum

 

 

(Holz)Sarg

 

 

(Holz)Kreuz

 

 

 

 

 

Totenbaum

 

Bäume besitzen in allen Kulturen ungeheure Symbolkraft, die tief in der (Natur)Geschichte gründet. Ihre Magie wirkt nicht nur bei den Naturvölkern und Indianern, auch in der industriellen Zivilisation ist der Baum mit seinen guten und schlechten Früchten als mythisches und religiöses Urmotiv unvergessen, umwoben von Hexenspuk und Zaubersagen, von Märchen und Geschichten. Mit der Darstellung von Land und Wäldern nimmt die mittelalterliche Landschaftsmalerei ihren Ausgang.

Erst allmählich rücken Bäume aus den Hintergrund bereits gelichteter Landschaft, werden identifizierbar und begleiten den Menschen durch die Jahreszeiten (siehe "Stundenbuch des Herzogs von BERRY", um 1416). Gemalt werden kosmischer Atem und kurzes Menschenleben, Werden und Vergehen (Jan van GOYEN "Landschaft mit zwei Eichen", 1641). Andere Bilder sehnen sich nach Harmonie und Gleichgewicht (Philipp Otto RUNGE "Quelle und Dichter", 1805) oder erzählen von existentieller Furcht und menschlicher Kurzsicht (Charles-Francois DAUBIGNY "Der Holzfäller", 1850).

Unablässig nähern sich die Landschaftsmaler der Natur, und erfahren die Distanz zu ihr. Künstler dokumentieren dabei den Fortgang zivilisatorischer Eingriffe, die das Industriezeitalter erst so richtig perfektioniert. Zahllose Bilder liefern davon Zeugnisse... Und Künstler erfinden immer Natur(ideale). Deutsche Romantiker übertragen ihre Naturachtung auf die aufrechten Forstreviere und prägen anhaltend die Vorstellungen von harmonischer Landschaft. Wie unromantisch die "Verfichtung" zu Zeiten Caspar David FRIEDRICHs dagegen war (vgl. etwa "Der Abend", 1820) und den erfolgten Übergang von extensiver zur intensiven Bewirtschaftung anzeigt - eben den Sieg schnellen forstlichen Holzgewinns über landespflegerische Naturschonung -, erklärt beispielsweise der Ökologe Henry MAKOWSKI.

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Ein altes Sprichwort lautet, "zuerst stirbt der Baum, dann stirbt der Mensch." Schon im Gilgamesch-Epos (2000 v.Chr.) müssen Bäume und Wälder sterben. Erinnern wir uns, dass zu Christi´ Geburt ein Viertel deutschen Waldes bereits gerodet ist, oder an den Holzmangel um 1300 und 1700. Den frühen Baumfreveln folgen erste Forsterlässe ("Weistümer" um 1300) und geregelte Forstwirtschaft (nach 1500). Bilder berichten, welche tief greifenden Spuren Holzschlag und Raubbau hinterlassen. Den kultivierenden Ausgleich unternehmen Forsten, Baumschulen und Landschaftsgärtner. Beides aber wirkt lange nach, strukturiert Landschaften. Wie unmittelbar die menschliche Hand zum Würgegriff für einen Baum werden kann, demonstriert die von Timm ULRICHS geschaffene eiserne Handskulptur, die die Wurzel einer wirklichen Linde umklammert und (bislang) nur einen kümmerlichen Wuchs gestattet.

Das beziehungsreiche Baummotiv steht heute stellvertretend für den natürlichen Lebensraum, ja für (Über)Leben schlechthin. Großflächige Chemotherapie, giftige Warenreste und Verkehrswahn schenken der Gegenwart kahle Landschaften. Die Bäume sind entlaubt, entwurzelt, entseelt. Romantische Weite reduziert sich auf bedrückende Leere (Matthias KOEPPEL "Sport", 1972) und Waldesdickicht ist gespickt mit atomaren und militärischen Waffen (Ursula MATTHEUER-NEUSTÄDT "Der schöne deutsche Wald", 1980). Der Baum des Lebens wird in NILS-UDOs Installation zum unheimlichen "Todesfloß" (1985).

Die BUND-Ausstellung "Künstler sehen unsere Umwelt" (Freiburg, 1984) wählte von 180 Künstlern mit 1000 Einsendungen 77 Künstler mit 150 Arbeiten aus, die als symptomatisch gelten müssen. Metaphorische und symbolische Darstellungen kennzeichnen erstens den eingeschlagenen Wirtschaftsweg als Sackgasse, zweitens stellen sie Verbots- und Achtungsschilder auf, und drittens dominieren als Motiv und Thema eindeutig Baum und Wald. Hoffnungen und Visionen sind nur mariginal ("Der Horizont ist grün"). Die Mehrzahl alarmiert, klagt an, schreit auf. Anstelle der Abbildungen schauen wir auf nur auf einige Titel: "Grabmal für Leonardo", "Erst stirbt der Wald...", "Waldsterben", "Nature morte", "Über allen Gipfeln ist Ruh", "Vom Baum zum Kantholz", "Der tote Wald", "Der letzte Wald", "Waldesfrust", "Sterbender Wald", "Grüne Höhe, warst gewesen"...Das Waldsterben ist in den 80er Jahren in aller Munde, seit den 90er werden zumindest die "Waldzustandsberichte" besser. Positives Denken sollte aber Realitäten nicht ignorieren.

Ob mittelalterlicher Kahlschlag, Abbrennen von Regenwäldern oder Rodungen in Obstbaugegenden mit EG-Ausgleichszahlungen - das ökologische Desaster paart sich mit sozialen Entwurzelungen. Land und Leute tragen und sehen schwarz. Das signalisieren auch in manchen deutschen Gegenden köpflings eingegrabene Obstbäume.
Die Kunstgeschichte kennt das Motiv des "verkehrten Baums" seit langem. Ein jüngstes Beispiel ist die "Stoph Corner" (Waren, 1995) des Dänen Mikael HANSEN - eine Anspielung auf die politische "Wende" in Ostdeutschland. Der umgedrehte Eichenstamm steht, fast unauffällig, an der Zufahrtsstraße zum Jagdgebiet des DDR-Politbürooberen Stoph.

1985 installierte Herman PRIGANN in Wien das 23,50 m hohe Objekt "Hanging Tree", dessen Wurzeln an eine geflochtene Dornenkrone erinnern können, während das untere Ende mit scharfer Spitze über einem (Faden)Kreuz am Erdboden pendelt.
In Brasilien entstehen bizarre, rudimentäre Baumskulpturen von Frans KRAJCBERG, die an Totempfähle gemahnen - Ausdruck eines "fundamentalen Naturalismus" mit "spürbaren Informationen über die Natur".

Viele dieser Naturinstallationen sind immer auch Metaphern für die Entsprechung von ökologischer und kultureller Krise. Baumdarstellungen und -installationen fungieren zweifellos oft als Merk-Zeichen, Warn-Bilder oder Gegen-Bilder, verbleiben aber traditionell auf der Reflexionsebene. Etliche Künstler inszenieren darüber hinaus alternative Vor-Bilder einer ökologischen Wende.

Nehmen wir Joseph BEUYS mit der bekannten Pflanzaktion "7000 Eichen" (Kassel, 1982-1987). Er betrachtet diesen künstlerisch-ökologischen Akt als Transformation vom Kranken zum Heilen. Das integrative und ganzheitliche Vermögen von Kunst könne die Gesellschaft revolutionieren und neue Wirtschaftsgesetze formen. Zumindest brachte BEUYS mit der "Stadtverwaldung" anregende Unruhe in die Stadtverwaltung und überantwortete ihr - mehr auf Verderb als Gedeih, wie böse Zungen behaupten - nicht nur die Bäume, sondern lud ihr mit den zugehörigen Basalten noch weiteren metaphysischen Ballast auf. BEUYS erblickte darin geeignete "Ideenbilder" für die Schönheit, Gefährdung und ökologische Gestaltung unseres Lebensraums. Voll entfalten kann sich diese Langzeitskulptur erst im Laufe der Jahrzehnte.

Dieserart verüben Künstler naturverbundene Anschläge auf Bewusstseins-und Stadtlandschaften. Ihr symbolischer Kunstansatz führt über ein kreatives und kooperatives Miteinander zu wirklichen Begrünungen, steigert die individuelle Reflexion zur öffentlichen Aktion.

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"Green Piece" heißt ein Kunststück von Bodo BERHEIDE, der in Wuppertal eine Anpflanzung einheimischer Bäume, Sträucher und Kräuter begann (1989). Das Einmischen in die Stadtplanung mobilisierte Einwohner und Ämter. "Green Piece" wirbt mit der Begrünung des sieben Kilometer lang gezogene Mittelstreifens entlang der B 7 als soziale Aktion für mehr Lebensqualität, trotz des stiefmütterlichen Eingeklemmtseins des grünen Bandes.

Als Lebens-Zeichen versteht sich auch die bürgernahe Aktion von Klaus STAECK "Bäume für Bitterfeld" (1990) oder das "Baumkreuz" aus 140 Eschen und Linden am ehemaligen Grenzübergang Ifta/Rittershausen von Walter DAHN, DROESE, HEINRICHS, STÜTTGEN, u. a. (1990), das mehr als nur der Anfang einer Baumallee zwischen Kassel und Erfurt sein will.

Der Baumpate Ben WARGIN hatte nicht nur den Einfall zur "Weltbaumgalerie", einer Bilder- und Spruchreihe an der S-Bahnstation Berlin Savigny-Platz, zu der Künstler wie ANATOL, BEUYS, DRESSLER, GRASS und JANSSEN beitrugen. WARGIN tritt vielerorts als Pionier von Pflanzaktionen auf. "Der Baum bist Du" heißt einer seiner einprägsamen Sprüche, die den Umgang mit der Pflanzenwelt in Relation bringen zum Umgang mit uns selbst. 1991 startet WARGIN das interdisziplinäre Kunstunternehmen "Baumpaten gesucht für das Wassermuseum der Lausitz". Dort geht es um Zusammenhänge von 150jähriger Bergbaugeschichte und trockengelegter Niederlausitz, von deren "überflüssigem" Wasser die Spree und Berlin profitieren. Rekultivieren, Bewässern, Beleben dieser abgewürgten Landschaft greift also in große Naturkreisläufe. Was ist machbar, was ist vertretbar? Fragen und Anstöße will das "Wassermuseum Gräbendorf" geben als ein "Ort, wo wir sehen können, wie es einmal war, seine Urkraft begreifen und seine Bedeutung erahnen."(Ben WARGIN)

Von Recherchen im Böhmerwald gelangt Betty BEAUMONT innerhalb der Münchener Vorhaben "Kunst-Kultur-Ökologie" zu dem ästhetisch-ökologischen Forschungsprojekt "Bohemian Forest". Sie thematisiert Waldzustand, Energieumgang und Infrastruktur im Dreiländereck zwischen Tschechien (lebender Urwald), Deutschland und Österreich (öder Restwald) und zielt auf naturnahen Wald und alternative Energieversorgung.

Wohlgemerkt - es handelt sich um Kunstaktionen, die allesamt Natur einfühlende Gestaltungsangebote unterbreiten, keine seelenlosen Wirtschaftsplanungen. BEUYS, WARGIN oder BEAUMONT bauen anstelle des "humanen" (menschbezogenen) Nutzdenkens eine spirituelle Beziehung zur Natur auf. Im Sinne von Rupert SHELDRAKE könnte man das als "Resakralisierung der Natur" bezeichnen. Was herauskommt, sind machbare Lösungsansätze.

Nach Lösungsstrategien sucht, abseits der Kunst, aber mit hoher Sensibilität, auch der Karlsruher Physiker Claus MATTHECK. Vom Naturdesign der Bäume lernt er die biologische Selbstoptimierung (Wachstumsgesetz konstanter Spannung), überträgt sie auf mechanische Bauteile, wodurch sich die Stabilität zigfach erhöht und das Gewicht deutlich sinkt. Im Dialog mit solcher Wissenschaft schärfen Künstler das Bewusstsein für natürliches Maß und ökologisches Wirtschaften. Die trockene Bemerkung von Politikern, einen Baum pflanzen könne z.B. das Grünflächenamt viel besser, geht an den kommunikativen Kunstprozessen vorbei und beschönigt die Wirklichkeit. Fakt ist nämlich, dass Ökologie und Kultur zu den "freiwilligen" Aufgaben der Kommunen zählen und kurz gehalten werden. Weitsichtige Zeitgenossen hingegen sehen darin Hauptaufgaben. Mit ihren öffentlichen Begrünungen, Pflanzungen und Aufforstungen geben Künstler der Erde Leben zurück und befinden sich auf dem Weg, den man seit Rio 1992 "nachhaltiges Wirtschaften" nennt.

BEUYS Kunstangriffe auf Wirtschaftswunder und Wirtschaftswerte oder WARGINs lauthalse Attacken gegen die zukunftsblinde Marktmentalität treffen sich ja in einem Punkt: das sie den Menschen aus dem Zentrum herausnehmen und das pulsierende Erdganze im Blick haben, dem wir weder mit technischem Gerät noch Geldkapital entkommen können.
 

Globusmotiv und weltweiter Aktionsradius. Misstrauen wir also den Versprechungen von Sparbüchern und lernen lieber von alten Legenden. Dem phrygischen König Midas verwandelt sich wunschgemäß alles zu Gold, was er berührt, selbst Speis und Trank. Biblische Motive wie die Büchse der Pandora, die Arche Noahs und die Sintflut strafen Habgier, Machtwahn und Herrschsucht mit Gottes Gericht. Antike Figuren wie Ikarus, Laokoon und Prometheus mahnen zur Achtung der Natur, warnen vor maßlosen Wünschen. Während aber bei Pieter BRUEGEL d. Ä. der stürzende Ikarus (1558) noch vor individueller Naturüberhebung warnt, wird Ikarus Sturz bei Wolfgang MATTHEUER (1979ff.) zum charakteristischen Fall. In Skulptur, Malerei und Grafik alles wohlvertraute Motive, die ihr religiöses Gewand ablegen und als weltliche Symbole die uralte Sorge um die Erde, unsere Allzeugerin und Allnäherin, belegen.

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Das Erdmotiv indes ist relativ neu und begleitet das globale Denken. Es treibt die Kopernikanische Revolution weiter, denn erst die ökologische Perspektive verabschiedet die Weltbilder von PROTAGORAS (der Mensch als Maßstab aller Dinge) und PTOLEMÄUS (Erde ist Mittelpunkt) endgültig. Mit den Weltkriegen, mit Weltraumforschung und Satellitenbildern seit den 50er Jahren wird die Globalisierung als weltweite Gefahrenakkumulation bewusster. Beteiligt an der Korrektur des anthropozentrischen Welt-Bildes ist James LOVELOCK mit seinem Buch "Gaia. A new look at life on Earth" (1979). Die Gaia-These, nach der die Erde einen sich selbst regulierenden lebenden Organismus bildet, inspiriert etliche Künstler. Auch den Slogan der Umweltbewegung "global denken, lokal handeln" nimmt die Kunst auf und viele andere geistige Anregungen (Club of Rome, Brundtland-Bericht, ...).

Im formalen Umgang mit dem Erdglobus werden alle Materialien und Gestaltungsmittel genutzt (nach Malerei und Grafik spielen Skulptur und Aktion eine größere Rolle), auch inhaltlich und organisatorisch sind einige Kunsttendenzen erkennbar:

- In den 50er/60er Jahren registriert Kunst die technikgläubige Ab-Lösung vom blauen Planeten, schleudert den Mensch ins Weltenall (Rudolf HAUSSNER "Laokoon in der Umlaufbahn", 1969).
- Noch vor LOVELOCKs Gaia-These artikuliert sich eine neue Sicht auf die Erde als Lebewesen und natürliches Kunstwerk zwar originell, doch in traditionellen Bildformen (siehe Piero MANZONIs magische Plastik "Sockel der Welt", 1961; Joseph BEUYS Postkarte "Die Wärmezeitmaschine in der Ökonomie", 1975).
- In den 70/80er Jahren spiegelt bildende Kunst angesichts der Atombombe die Angst vor plötzlicher Vernichtung und Ent-Grenzung der Systemkonflikte (Gerda DASSING "the last photo", 1982).
- In Korrespondenz dazu gewinnen mit dem Globusmotiv Umweltaspekte an Bedeutung, verschieben sich Bildbezüge auf die schleichende Ökokrise (Klaus STAECK "Die Luft gehört allen", 1973) und faktische Auf-Lösung (Horst HAITZINGER "Saures Bäumchen", 1982) natürlicher Kreisläufe.
- Der Globus ist das verbreiteste umweltkritische Kunstmotiv überhaupt und wird in Malerei und Grafik (Karikatur) als direktes Symbol zitiert: Die Erdkugel wird als Speiseeis gelutscht (Gerold PAULUS), in Scheiben geschnitten (Gunnar RIEMELT), mit Büchsenverschluss versehen (Stephen JACOB), mit Betonbahnen eingewickelt (Paul PRIBBERNOW), verhüllt (CHRISTO), vom Umtausch ausgeschlossen (Joseph W.HUBER), verpackt, verkauft, seziert, leergezapft, ausgehöhlt, aus- und zusammengepresst, durchlöchert, betoniert, radioaktiv verseucht, übervölkert, vollgemüllt und weggeworfen.
- Erdskulpturen entstehen aus Geäst (Mo EDOGA, 1992); als schrumplige Papp- und Papierkugel (Thomas VIRNICH, 1992); aus Schulgloben mir Darstellungen der weltweiten Verteilung von Ressourcen, Niederschlägen, Waffen, Fernsehern, Kernkraftwerken, ...(Ingo GÜNTHER, 1989); werden aus Stahl, Stein, Holz, Lumpen, Müll fabriziert.
- Mutter Erde ist als Bezugsgröße von Aktionen präsent. Bodo BERHEIDEs 6-Tonnen-Hufeisen "figura magica" (1989ff.), die auf ihrer Weltenreise nach Wuppertal, Dublin und Montreal 1996 in Bethany Zwischenstation macht, soll magisch und magnetisch aufgeladen werden und huldigt die Erde als das größte Kunstwerk. Ein symbolischer Akt, der Erdriten, keltische Tänze oder indianische Rituale belebt und einbindet.
- Weltweit gründen sich Künstlernetzwerke wie Artists for Nature (AfN, 1989, bis 1996 noch United Artist for Nature/AUN). Der internationalen Umweltinitiative gehören namhafte Mitglieder und Förderer an wie Elvira BACH, Alfred BIOLEK, CHRISTO, Joe COCKER, Bryan FERRY, Friedensreich HUNDERTWASSER, Roy LICHTENSTEIN, LORIOT, Robert LONGO, Uwe OCHSENKNECHT, Nam June PAIK, Jennifer RUSH, Antonio TAPIES, Tomi UNGERER und Peter USTINOV. Sie unterstützt ökologische Projekte und Bürgerinitiativen in aller Welt und organisierte u. a. Aktionen, Konzerte, TV-Spots, Ausstellungen, Preise. So kreierte AfN die Hymne "Yes we can" (1989), überreicht zum Weltumweltgipfel in Rio (1992) die einmalige globale Kunstedition "COLUMBUS - In search of a new tomorrow" (mit circa 100 Beiträgen von 30 Künstlern) als internationale Künstlerbotschaft für eine notwendige ökologische Wende oder brachte die Bonner Ausstellung "natur?" (1996) auf den Weg.
- Auch andere Aktionen, Projekte, Ausstellungen agieren grenzenlos, umfassen die Erde, reisen durch die Erdteile. Beim Weltkünstlerworkshop "Arte Amazonas" (Brasilien, 1992) arbeiten 20 Künstler zum Thema Amazonas und Umwelt, gefördert vom Goethe-Institut. Zum Thema Okzident - Orient - Afrika startet (1991) die "Kunstkarawane" in Deutschland als internationaler Kunstdialog.
- Immer mehr Ausstellungen wie "Klima global" (1992) oder "Erdsicht - Global Change"(1995) stellen sich inhaltlich dem globalen Thema.
- Das drückt sich in den genannten Ausstellungs- wie in Buchtiteln aus, beispielsweise in den Karikaturenbänden "Globetrottel" (1989) und "Weltsch(m)erz" (1992) von Horst HAITZINGER.
- Das Erdmotiv ermöglicht globalästhetisches Wahrnehmen und Nachdenken, macht abstrakte Begriffe (Erde, Umweltkrise, Klimakatastrophe, Ozonloch, Überbevölkerung) anschaulich.

Es zeigt, dass soziale Schieflage und kranker Naturhaushalt zusammenhängen. Während in Plastik und Malerei einst Atlas oder Herkules das Himmelsgewölbe tragen, sind die Lasten heute anders verteilt (W. MANDZELL "Der Süden trägt den Norden", 1990). Die möglichen Veränderungen verlangen nicht nur kritisches Umweltbewusstsein, sondern sozialökologische Handlungskompetenz. Kunst mit ihrem Sensibilisierungspotential leistet hier entscheidende Vermittlung. Bewusst aufgegriffen werden Umweltprobleme aber erst seit Ende der 60er Jahre.  

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Umweltkunst seit den 60er Jahren. Die Prämissen bildender Kunst haben sich mit dem Erdantlitz geändert. Jahrhundertelang fordert das Landschaftsideal: male stimmig und schön. Egal welche der polaren Grundauffassungen dahinter steht, ob Nachahmung oder Erfindung der Natur. Für DÜRER ist bei seinen detaillreichen Naturbeobachtungen beides wichtig, einerseits die Kunst aus der Natur "herauszureißen", andererseits "inwendig voller Figur" zu sein. Nur dieser Wirklichkeitssinn erklärt, dass bildende Kunst als Indiz anhaltender Naturvergewaltigung taugt, während jener Formsinn oft die Notzucht versteckt - dem Naturfrevel gar Vorschub leistet. Die Moderne gibt genügend Lehrbeispiele wie Artistik, Autonomie und Abstraktion den Modenwechsel anheizen. Zu lange stemmt sich der Mensch gegen die Natur. Nach der unwissenden Einbindung in das natürliche Umfeld folgt die allwissende Überhebung. Die notwendige Wende zum wissenden Einfügen und zur Naturpartnerschaft eröffnen im ausgehenden 20. Jahrhundert umsichtige bis rücksichtslose Grenzgänge von Künstlern...

Die aufkommende umweltkritische Kunst Ende der 60er Jahre reagiert lautstark auf die aufbrechenden Wirtschaftswunden, auf Vermüllung und Vergiftungen der Lebensräume. Sie entsteht keineswegs als eindeutige Strömung, sondern eher als ein thematischer Bezugspunkt, aus individueller Betroffenheit und gesellschaftlichem Engagement. Die Kehrseiten des Wirtschaftswunders stiften Nachdenklichkeit, Rachel CARSONs "Der stumme Frühling" (1963) erschüttert das lesende Publikum, unliebsame Fakten kratzen am schönen Schein der heilen Konsumwelt. Erkenntnisse ökologischer Wissenschaft, philosophische Diskussionen, Informationsästhetik und visuelle Soziologie wecken kritischen Zeitgeist.

Für ein Hinwenden von Kunst zum Alltag und Lebensqualität sorgt auch der Leerlauf des Kunstmarkts. Belebend wirken DUCHAMPS "ready mades" und SCHWITTERs "Merz-Kunst", die ironischen Verheißungen der Pop-art, die eine neue Aura beschwörende Land-art, der magische, materiale bzw. neue Realismus (ARMAN, CÉSAR, Daniel SPOERRI, Jean TINGUELY), die elementaren Materialien der italienische Arte povera und die Junk-art (Edward KIENHOLZ). Beeinflusst wird die alternativ-politisierte Umweltkunst von happenings, Fluxus-/Konzeptkunst (Allan KAPROW, Nam Jun PAIK, Wolf VOSTELL). Accumulationen, Assemblagen, Installationen und Objekte eröffnen - auch dem Thema Umwelt - neue Ausdrucksmöglichkeiten.

Thema Nummer eins ist Ende der 60er bis in die 70er Jahre zunächst der Müll. Außenseiter wie HA SCHULT schieben den Müll in öffentliche Straßen und ins Bewusstsein ("Situation Schackstraße", 1969; "Markusplatz Venedig", 1976).

Umweltkunst entfaltet sich nicht in erster Linie mit neuen Materialien (Materialrealismus mit Müll, Abfall, Luxusartikeln, Verpackungen, Naturstoffen), Motiven (Auto, Atom, Ozon, Mensch-Tier-Pflanze) oder Themen (Umweltverheerung, Ressourcenknappheit, Umweltgifte). Vielmehr geht es darum, das Vergessene, Übersehene, Unsichtbare sichtbar zu machen. Die visuelle Organisation will kritischer Kommentar sein, basiert auf einer Wirkungsästhetik, Bewusstheit soll induziert und Handlungen initiiert werden.

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Künstler wie ALBRECHT/d., Otto DRESSLER, Bernd LÖBACH-HINWEISER, Aloys OHLMANN oder Timm ULRICHS provozieren mit Collagen, Environments, Verfremdungen und Aktionen auch umweltkritische Bezüge unterschiedlichster Art. Verlagsgründungen begünstigen Publizität jenseits vom Kunstmarkt, Netzwerke werden installiert und Museen begründet.

Am Anfang stehen dokumentarische Spurensicherung und plakative Inszenierung. Schnell gewinnen die Entwürfe an Qualität und überzeugen auch durch kleine Gesten. Der aufklärerische anklagende Impetus wird zugunsten dialogischen Charakters abgelegt, mögliche Allianzen und Alternativen rücken ins Blickfeld. Kunst lotet Elemente und Energieströme aus und wirft Fragen des (künstlerischen) Recycling, der Begrünung und der Landschaftsgestaltung auf. In den 90er Jahren werden Wahrnehmungsprozesse akzentuiert.

Selbstbewusste Kunstprogramme, von unterschiedlicher Herkunft, verkünden: "Die Kunst der 70er Jahre findet nicht im Saale statt" (STAECK, 1974); "Hiermit trete ich aus der Kunst aus" (BEUYS, 1984); "Kunst ist, aus dem Überfluss bescheiden auszuwählen" (LÖBACH-HINWEISER, 1987); "...Wir wollen soweit kommen, dass die Kunstwissenschaftler sich die Haare raufen und dem Kunstfreund der Atem stockt..." (Künstlerkollektiv QUERFELDEIN, ca.1990).

Neue Präsentationsformen wie "LandschaftsFundbüro" "Um(welt)lehrpfad" oder "Museum für Ist-Zeit-Archäologie" (Heinz H.R.DECKER) werden erprobt. Seit 1983 geht das "Museum für Wegwerfkultur" aus Weddel (von Bernd LÖBACH-HINWEISER) auf Reisen und karikiert unser abfallreiches Verhalten. Andere betreiben mit der künstlerischen Untersuchung von Halligen, Heilpflanzen und Haushalt "Feldforschung" (Lili FISCHER), um ebenfalls "etwas für die Natur" zu tun. Andere nennen ihre künstlerischen Recherchen im Innerstädtischen "Heimatkunde" (Manfred BUTZMANN, etwa 1975ff.) und sensibilisieren für Zusammenhänge von Geschichts- und Naturräumen bis hin zu Vorschlägen zur Begrünung von sozialistischen Monumenten oder zum Schutz des Berliner Todesstreifens ("Denk Mal Grün" bzw. "Mauer Land Lupine", BUTZMANN 1990ff.).

Der Ausbruch aus dem offiziellen Kunstrahmen bedeutet keineswegs Verzicht auf den normalen Bilderrahmen. Natürlich behalten traditionelle Formen der Malerei, Grafik oder Skulptur ihre Berechtigung. Postkarte, Plakat und Foto bewähren sich weiterhin als Träger künstlerischer Botschaften. Beobachtet man das Zeichenarsenal, so fallen indes einige formale Änderungen auf, die ganze Kunstkonzepte charakterisieren können: Künstler verlagern ihre Aktivitäten in den urbanen Raum und die freie Natur. HA SCHULT nutzt die "magischen Kanäle" der internationalen Medien, Friedensreich HUNDERTWASSER bekämpft die Gerade, Mo EDOGA schnürt seine "Alltags-Ikonen" nach traditioneller nigerianischer Bindetechnik zu eigenwilligen Skulpturen. Den Höhlenzeichnern verwandt fühlt sich A. R. PENCK und erklärt seine Tendenz zur Archaik mit dem Interesse an der Kulturrelevanz verschiedener Rassen, der Geschichte der Naturvölker und der Herkunft individueller Sinnschichten.

In der DDR erwacht das künstlerische Umweltbewusstsein in den 70er und sucht in den 80er Jahren immer deutlicher nach Artikulationsmöglichkeiten. Ob bei den Grenzgängern der Mail-art, in der alternativen Galerieszene (Berlin, Dresden, Leipzig) oder bei Öko-Kirmes und kleinem Umweltfest - Umweltkunst führt ein Nischendasein, erreicht nur den Insiderkreis. Breite Öffentlichkeit bleibt ihr versagt. Aber selbst im offiziellen Kunstraum sind kritische Darstellungen von Landschaft und Umwelt, Figuren und Design seit den 80er Jahren nicht mehr auszusparen. Um nur einige KünstlerInnen zu nennen, die sich auch mit Umweltthemen befassten: Bob BAHRA, Heinz BEHLING, Manfred BUTZMANN, Eva HAAK, Martin HOFFMANN, Joseph W. HUBER, Wolfgang MATTHEUER, Olaf NICOLAI, Uwe PFEIFFER, Jürgen SCHIEFERDECKER, Dirk STREITENFELD...

Vom kritischen Gegenstandssehen hin zu Wahrnehmungsprozessen selbst bewegen sich Strategien sinnlicher Erfahrungssuche. Mit den verschiedensten Methoden wie Sinnespfad, -garten, -spiel, Naturbeobachtung und -meditation sollen die Verkrustungen unserer Wahrnehmungen den Damm zwischen Kognitivem und Affektivem aufbrechen. Populär geworden sind Konzepte von Joseph CORNELL, Hugo KÜKELHAUS, Rudolf zur LIPPE oder Gert SELLE. Auch Ausstellungen widmen sich, dem ästhetischen Zeitgeist folgend, den Wahrnehmungsprozessen ("Risiko ist ein Konstrukt", 2. Ökologiekongress Dresden/1995; "Das Sisyphos-Syndrom. Hommage für Joseph Beuys. Vorfreude ist die schönste Freude", Plüschow/Plön, 1995).

Ob nun Gegenstände, menschliches Verhalten, gesellschaftliche Verhältnisse oder Wahrnehmungsmechanismen thematisiert und inszeniert werden. Gemeinsam ist den meisten dieser ökologiebewussten Kunstäußerungen eines: sie wollen eine ganzheitliche Betrachtungsweise anregen. Das unterstützen verständliche Begriffspaare wie "Mitwelt" (Klaus Michael MEYER-ABICH) und "Innenweltkrise" (Rudolf BAHRO) oder philosophische Bildprägungen von den "inneren Wäldern" (Herman PRIGANN) und der "inneren Wüste" (Ben WARGIN).  

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Ökologische Kunst. In den letzten Jahren schärft sich zugleich das Bewusstsein dafür, dass einerseits der Mensch immer ein Naturwesen bleibt, Natur andererseits sozial konstituiert ist. Reinhard ZABKAs Projekt "Der Wald als Missverständnis..." (Babe/1992) interessiert sich nicht für die "unabhängige" Natur, sondern überprüft die natürlichen Seinsqualitäten von Kunst und Gesellschaft, genauer: deren arrogante Widernatürlichkeit. Solch Perspektivwechsel bestreitet nicht die Notwendigkeit menschlicher Gestaltung, gestritten wird "nur" um das zuträgliche Maß. So verschmelzen teils sozialökologische Ideen und praktische Gestaltungsimpulse.

Herman PRIGANN übersetzt menschliches Naturverständnis in "metamorphe Objekte", die als naturbezogene Skulptur in minimalistischer Architektur Natur als Prozess darstellen. Umwelt- und Landschaftgestaltung gewinnt bei BEUYS oder WARGIN an Interesse, und wird zum bestimmenden Kunstziel bei den HARRISONs, Betty BEAUMONT, Mel CHIN... Spätestens hier beginnt ökologische Kunst.

Die Gegenwart stellt uns vor schwierige Entscheidungen praktischer Lebens-, Raum- und Landschaftsgestaltung. Welche Produktionsweisen scheinen zukunftsträchtig, welcher Landbau umweltverträglich? Wie stehen wir zum urbanen Natur- bzw. Grünreservoir, wie gehen wir mit den gewachsenen Kulturlandschaften um, welchen Prämissen folgt die Landschaftsplanung, hegen wir die Naturreservate, was wird aus den aufgerissenen, ausgelaugten und kontaminierten Ländereien? Die einen streiten für Natur belassene Selbstregulierung, die zweiten für Konservierung, die dritten für strikte Kultivierung. Eine Frage des Maßes, der Mittel und der funktionalen Ziele. Ökologischer Umbau in Industriebrachen jedenfalls braucht Menschenhand wie im Emscher Revier, wo unter Karl GANSER mittels der "Internationalen Bauausstellung Emscherpark" (seit 1989) der Hinterhof des Ruhrgebiets erneuert wird (Landschaftspark, Brachenrekultivierung, Renaturieren der Gewässer, Nutzung der Industriedenkmäler, ökologische Gestaltung von Wohnanlagen und Arbeitsplätzen).

Kunst kann in solchen Regionen innovativ wirken, Gefahrenstellen ausloten und sich in Landschaftsplanung einschalten, um einer ökologischen Kultur den Weg zu bahnen. Kunst unterscheidet sich, je nach Situation, aber im konkreten Herangehen. Vorläufer und Anregungen finden sich schon in der amerikanischen Land-art der 60er Jahre, die mit ihren Raum-Zeit-Skulpturen an entlegenen Orten großspurig Natur erlebbar macht, während europäische Naturkunst in den 70er Jahren ohne ähnliche Fluchträume sich mit bezaubernden bis nachdenklichen Arrangements und Zeichen eher unauffällig und still in der Landschaft einfindet. Auch Kunst im öffentlichen Raum mit ihren Skulpturen, Installationen, Environments zeitigt originelle Anregungen. Die Einflüsse bewegen sich zwischen Zeichensetzung und eingreifender Veränderung, die Übergänge sind fließend.

So will die "Europa-Biennale Niederlausitz" (seit 1991) im Cottbuser Kohlerevier mit ihren Kunstvisionen die Kulturlandschaft wiederbeleben, lt. Ausschreibung sind die Künstler zu "landschaftsgestalterischen" Akzenten in den Rekultivierungsgebieten aufgefordert. Die Ergebnisse laufen im wesentlichen auf symbolische Kunstakzente hinaus, die ökologische Zusammenhänge reflektieren. Sie konstruieren einen Kunstraum.

Beim Müritz-Pleinair "Natur und Kunst" (seit 1992) innerhalb des Müritz-Nationalparks - also im großräumigen Naturraum-Schutzgebiet - geht es darum, "Kunstwerke in die Spannungszone zwischen Innovation und verletzbarer Schöpfung zu stellen. Es soll kein Skulpturenpark neben dem Nationalpark entstehen. Die schmerzliche Trennung von Mitwelt und Mensch kann jetzt nicht weiter manifestiert sein. Wir suchen das Miteinander - nehmen vergessene Traditionen unserer Vorfahren auf: seltene, unersetzliche Stätten, Heiligtümer durch Kulturzeichen zu bewahren..." Hier scheinen die Vergänglichkeit und das Ineinanderfließen von natürlichem Kunstmaterial und selbst überlassener kulturgeprägter Naturlandschaft charakteristisch. Sie unterstreichen den Naturraum.

Einen gänzlich neues Herangehen, zumindest vom Ansatz her, verfolgt das internationale Künstlernetzwerk Art in Nature (seit 1989). Art in Nature plädiert für ein zukunftsoffenes Denken und Gestalten und hebt den Gegensatz von Kunst und Natur auf. Erwähnt wurden bereits Betty BEAUMONT (Bohemian Forest, 1992 ff.) und Helen und Newton HARRISON (Muldeauen-Einzugsgebiet, Bitterfeld/1992 ff., A Green Heart Vision, Niederlanden/1994 ff.). Sie betonen den landschaftsgestaltenden Kulturraum.

Natur und moderne Risikogesellschaft werden als menschlich geformt und subjektives Wahrnehmungskonstrukt erkennbar. Wenn einerseits die Umweltkrise eine Kulturkrise ist, muss sich die Kunst ändern, andererseits ist Natur krisenfähig, entwicklungsfähig, gestaltungsfähig. Art in Nature folgt weder dem Traum von Arkadien, noch dem Denkmalschutz, noch der Schlusssequenz eines ökologischen Infarkts. Die neuartige Qualität ökologischer Kunst wird im Unterschied zur Land-art definiert. Während die Land-art die Erde symbolisch besetzt, zerschneidet, verändert und hinzufügt, füge sich Art in Nature ein, argumentieren deren Initiatoren Dieter RONTE und Vittorio FAGONE. Sie will das Zusammenspiel, sucht die Zwiesprache, strebt nach bedächtiger Integration in die Natur. Die Kunstsprache entwickelt sich am Ort und mit den natürlichen Materialien. Dabei entstehen Übergänge zwischen künstlerischem und ökologischem Arbeiten. Hiermit korrespondieren schließlich die Münchener Projekte von "Kunst-Kultur-Ökologie", die - ohne eine holistische und spirituelle Sicht zu verleugnen - die Spurensuche und Gestaltungswillen ausweiten und eine kunstgetriebene ökologischen Sanierung nicht ausschließen.

Mel CHINs "Revival Fields" beleben mit pflanzlichen "Hyperakkumulatoren" industriell verseuchte Böden wieder. Sie verstehen sich visuell noch als Skulpturen, bedingen aber interdisziplinäre Zusammenarbeit mit Naturwissenschaftlern. Wir sind wieder bei BEUYS und, vielleicht, ein Stückchen weiter?

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Versuchen wir eine Definition von Umweltkunst und ökologischer Kunst. Die Bezeichnung "Umweltkunst" ist allgemein seit den 70er Jahren gebräuchlich. Sie kennzeichnet wesentlich den inhaltlichen Bezug auf menschliche Umweltzerstörungen und aufmüpfiges Widerstandspotential für eine naturnahe Welt.
Jürgen CLAUS beschreibt "Umweltkunst" als Kunst, bei der der Künstler im eigenen Auftrag die Öffentlichkeit sucht, innere und äußere Welt in Einklang bringen will und dabei die Kunst "in den urbanen, den Landschafts- und den Medienbereich hineinführt". Der Umweltkünstler ist vorurteilsfreier Zeitgenosse ohne Endzeitstimmung aber mit Visionen, "...der das Grün der Landschaft, das Blau des Meeres will, aber auch die künstlerische Figur aus dem Unbekannten seiner selbst entwickeln will..."
Bernd LÖBACH-HINWEISER prägt Ende der 70er Jahre den Begriff "Umweltkritische Kunst", der (als großgeschriebener Eigenname) auf die in den 70er Jahren aufkommende umweltorientierte gesellschaftskritische Kunst hinweist und damit zugleich seine eigene künstlerisch Kritik der Wegwerfkultur etikettiert. Sein kunstgemäßes Recycling von Wegwerfmaterialien mittels Grafiken, Objektkästen, Objekten und Aktionen, führt zu visuellen Erlebnissen, die bewusstseinsbildend und handlungsanregend sind. Anders gesagt betreibt er gesellschaftskritische Reflexion mit bildnerischen Mitteln (sowie eigenem Museum, Verlag, Stempeln...).
Ich (Lebus) bevorzuge den Terminus "umweltkritische Kunst" (als Tendenz bzw. Aspekt kleingeschrieben). Er bezieht sich im weiteren Sinne auf die gesamte Kunst(geschichte), umfasst die Reflexion von Natur und ökologischer Zusammenhänge und reicht von der Trauer vom "Verlust des Paradieses" und apokalyptischen Stimmungen über Störfallbilder bis hin zu Wahrnehmungsprovokationen und lebensfreundlichen Visionen. Dieses Herangehen bevorzugt - wie etwa BUDERATH/MAKOWSKI oder Jost HERMAND vorführen - einfach eine andere, eben "ökologische Lesart" der Kunstbetrachtung. Im engeren Sinn gehören zur umweltkritischen Kunst das bewusste Aufgreifen von Umweltthemen und deren multimediale Darstellung seit Ende der 60er Jahre. Aus Sicht der Ästhetik sind dabei gesellschaftskritische Fragen von Wahrnehmung, Konsum, Lebensstil, Bedürfnissen, Maß und Genuss mitzudiskutieren.

Zur "ökologischen Kunst" lassen sich künstlerische "Pflanzaktionen", "Naturheilkunde" und "Landschaftspraxis" zählen. Während Umwelt(kritische)kunst mit Befunden sensibilisiert und geistige Handlungsräume baut, schreitet ökologische Kunst behutsam von der Diagnose zur Therapie kranker Landschaft. Sie pflegt, bewahrt, revitalisiert Lebensräume im ursprünglichen Sinne des Wortes "Kultur" und sie probiert eine Balance von Menschenmaß und Naturgestalt ("Naturallianz" Ernst BLOCH). Art in Nature und die Münchener Kunst-Kultur-Ökologie-Projekte sehen hierin ihr wesentliches künstlerisches Betätigungsfeld. Aber auch die "grünen" Forschungen und Aktionen von Lili FISCHER, Ben WARGIN, Klaus STAECK oder Bodo BERHEIDE verfolgen ähnliche Ziele. Der "Umweltkunst" entspricht im Amerikanischen die reflektierende "environmental-art", der "ökologischen Kunst" die vorsichtig eingreifende "ecologycal-art". (Der Terminus Ökokunst wird dagegen nur abwertend, im Sinne von Ökokitsch, d.h. billiger Illustration, gebraucht)
 

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Thesen. Kunst & Ökologie & Umweltbildung      (1996)
1. Es gab und es gibt kein abgesegnetes Naturideal und ebenso wenig ein verbindliches Kunstideal. Gegenwärtig erleben Kunst & Ökologie als Thema, Titel und Arbeitsweise Konjunktur, da sind Reibungen zwischen verschiedenen Tendenzen vorprogrammiert. Für Umweltbildung ist wichtig, dass sie die Palettenbreite im Blick hat und für ihr Sensibilisierungsprogramm nutzt.
2. Der Pluralismus von Kunstansatz, Interpretation und Gestaltungsvorschlag bleibt in einer mehrdimensionalen Lebenswelt und vielsinnigem Naturorganismus unverzichtbar. Auf Michel de MONTAIGNEs Ausspruch von der "Natur als Lehrmeisterin" können sich sowohl die konservativen Anhänger der reinen Naturformen (biologische Kunst und Ästhetik von Ernst HAECKEL, Karl BLOSSFELDT, Bernd LÖTSCH, Rupert RIEDL) berufen, als auch diejenigen, die die autarke Kunstform verteidigen und zugleich für naturnahe Entwicklungen plädieren.
3. Die Grenzen zwischen Land-art, Naturkunst Umweltkunst und ökologischer Kunst sind fließend. Divergierende geistige Begründungen schließen keineswegs ähnliche Kunstgestalten aus. Ihr gemeinsamer Nenner scheint das andere Maß im Gegensatz zum forsch-fröhlichen "Schneller, Weiter, Höher". Ihre inhaltlichen und formalen Unterschiede sollten als qualitative Potenz begriffen werden, sich Umweltproblemen von verschiedenen Seiten zu nähern.
4. Motive schöner Landschaft, uriger Bäume, intakter Natur sind ebenso wenig überholt wie Apokalypsen, wie mancher ökologiebewusste Kunstkritiker meint. Nur: die Welt-Bilder sind verteilt, es heißt Werbung mit der Natur kontra Umweltkunst für und mit menschengeprägter Natur.
5. Paradoxien (die Gleichzeitigkeit von Gegensätzen) gehören zur Kunst. Das Globusmotiv erlaubt Begreifen des globalen Zusammenhangs, es kann aber auch individuelle Verantwortung verdrängen und von lokalem Handeln entlasten. Landschaftstherapie kann in -tortur umschlagen. Ökologische Kunst beeinflusst als kultureller Eingriff die biologische Mannigfaltigkeit. Werden bestimmte Verfahren bis zum letzten ausbuchstabiert oder allein favorisiert, beispielsweise bloße Spiritualität oder stringente Gestaltung, leiden Mensch und Natur.
6. Wird die subjektive ästhetische Wahrnehmung betont, kann die gegenständliche Welt aus den Augen verloren werden. Die Entlastung und Entgiftung unseres vollgestellten Planeten stellt aber die zentrale geistige und gegenständliche Herausforderung dar. Denn die ökologischen Bedrohungen sind nicht eingebildet, nicht simuliert, nicht imaginär, sondern höchst faktisch.
7. Auch in der Kunstszene bilden Modernisierung und Avantgardismus gelegentlich nur eine bequeme einlinige Anpassung an Macht und Markt. Umweltkritische Kunst streitet dagegen für Veränderungen, schließt aber Demut vor der natürlichen Schöpfung ein. Sie orientiert strategisch auf ganzheitliche Lebensformen, verlangt Phantasie, Toleranz, Flexibilität...
8. Der Club of Rome erklärt eine angemessene Bildungsstrategie zu einer Hauptstrategie und unabdingbaren Voraussetzung bei der weltweiten Lösung von Umweltproblemen. Kommunikationsfähigkeit und Bereitschaft zur Integration und Kooperation; Vorbereiten und Aushalten von Wandel und instabilen Verhältnissen; globales Denken und Vorstellungsvermögen; sowie sozialer Sinn und Engagement sind deren Kernpunkte. Genau darauf aber richtet sich das Sensibilisierungspotential von Umweltkunst.
9. Hat KANT recht? Das Empfinden von Naturerhabenheit braucht mehr Verständnis als das Bestaunen von Kulturräumen. Die Entscheidung für naturbelassene, naturnahe oder kultivierte Landschaften stellt immer wieder eine komplexe Herausforderung dar. Wenn die menschliche Gattung überleben will, muss sie den Naturgrund unseres Seins respektieren und Wege zum nachhaltigen Wirtschaften einschlagen. Letztlich muss sich menschliche Gestaltung verträglich in Natur einpassen. Kunst als Medium der Umweltbildung vermag dazu einen emotional anregenden Beitrag zu leisten. Es bleibt ein widersprüchliches Unterfangen, denn: "Die einen lieben Bäume, die anderen Geometrie..."

 

Von der Höhlenmalerei zur ökologischen Kunst. Kurze Einblicke in das Verhältnis von Mensch und Natur in der Bildenden Kunst.
[In: Art d´Eco. Kunst als Medium der Umweltbildung. Hrsg. Andreas Pallenberg. Bonn: Wissenschaftsladen 1997, S. 16-31]

Autor:  Dr. Lebus  (1996) 

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