Veröffentlichung zum Thema Kunst und Klima (1994)  -  ©  Dr. Lebus,   Greifswald  -  Germany
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Andere Klimazonen?  Verkehrsprobleme im Spiegel von Werbung und (bildender) Kunst   (1994)
[In: KUNST – THEATER – KÖRPERARBEIT. Sinnlich-kreative Erfahrungen in der Klimakommunikation.

Hrsg. Angela Franz-Balsen. Frankfurt a. M.: DIE, 1995. S. 11-32]

 

(Einschub 2021) Wunschzettel

 

Ich wünsch mir was: Vorsicht und Maß,

auch noch dies und auch noch das …

Ich steige aus, ich bitt euch sehr,

dieser kranke Run nach mehr.

 

Die Wirtschaftsweise, die schmiert ab,

es tobt Spaß ums letzte Fass.

Ich steige aus, ich stell mich quer,

dieser ...

 

Ich wünsche viel, nur halbe Last,

überkommener Konsummast.

Ich steige aus, ich fühl mich leer,

dieser ...

 

Ein Viertel nur Weltreiserei,

nicht Krieg, Waffen, Lügenbrei.

Wann hört das auf, bitte sehr,

dieser ...

 

Mancher Abend ist zu kurz,

mancher Spaß bringt uns ein Hurz.

Manche Krise ist zu kurz,

warnt, wir hören einen P…z.

 

Auf die Zukunft, hebt das Glas,

bitteschön, heut ohne Maß.

 

[Aus: Claude Lebus, Hommage für Hiddensee. Inselverführt. Gedichte… KDP, 2020]

 

Klimaschutz verlangt nach einem Umsteuern in der Energie- und Verkehrspolitik. Um dieses Thema machen auch Werbung und Kunst keinen Bogen. Wie spiegeln sich wirkliche "Vernetzungen" auf dieser Welt (globales Klima und Verkehr) in den virtuellen Netzen (Medien, Kunst und Werbung)? Sicher ist zunächst eines: Werbung und Kunst wollen beide mit ihren Signalen unsere Wahrnehmungen erreichen. Folgt ihr freier Umgang mit gleichen Gegenständen wie Globus und Erdressourcen aber nicht andersgearteten, ja entgegengesetzten Mustern? Auch der Berliner Klimagipfel 1995 ist als herausragendes Ereignis sowohl ein Fall für die Kunst, als auch für die politische Werbung. Alternativen für umweltverträgliche Verkehrskonzepte eröffnen sich schon lange. Doch sie müssen erst durch viele Köpfe - kulturell-ästhetische Umweltbildung sollte also ernster genommen werden ... und Spaß bereiten.

Verkehrsszenario Berlin. Kaum eine Metropole ist von den Verkehrsprojekten Deutsche Einheit so betroffen wie die neudeutsche Hauptstadt. Der Berliner Senat geht auf allen Feldern von stark wachsendem Verkehrsaufkommen aus und hätschelt die Natur- und Landschaftskiller erster Güte:
- Das Projekt Nr. 17 beinhaltet die Wasserstraßenverbindung Hannover-Magdeburg-Berlin nach dem Motto tiefer, breiter, gerader.
- Für den ICE ist eine Schnellbahntrasse Berlin-Hannover geplant.
- Der Transrapid, ein Geschäft der Luxusklasse, soll Berlin mit Hamburg (oder andersrum?) verbinden.
- Aufgrund des Passagierschwunds könnte der Flughafen Tegel bald schließen, während für einen Großflughafen Berlin-Brandenburg locker über 10 (zehn) Milliarden Mark verplant werden (der irgendwann als Investruine westdeutscher Planungsbüros dem "Aufschwung Ost" angelastet wird).
- Teurer U-Bahnbau wird eher gefördert als die Straßenbahn (die den Autos Platz klaut).
- Lt. Statistik waren in Berlin 1990 über 1,27 Mill. Kfz zugelassen, bis 1993 folgten weitere 90.000 Zulassungen.
- Damit die Autos zügiger rollen, erhält die Magistrale 73 km neue Stadtautobahn...

Mit dem Zusammenbruch der DDR und der Abwicklung alter wie neuer Industriepötte reduzierten sich die CO2-Emissionen in Berlin um zehn Prozent. Eilfertig verpflichtete sich der Senat im Klimabündnis europäischer Städte zu einer Halbierung des Kohlendioxidausstoßes von 1990 bis zum Jahr 2010. Doch schon sind "Korrekturen" im Gespräch: realistisch sei - vielleicht - eine Senkung um 25 Prozent. Beim individuellen Straßenverkehr vermindern sich die Kohlendioxidemissionen gar nur um 7,4 Prozent... Abstriche nimmt man allerorten in Kauf, denn Aufschwung buchstabiert sich als Ausbau, Neubau, Wachstum des Verkehrs.

Dagegen forderten Umweltverbände und -organisationen zum Klimagipfel 1995 als vierten Punkt: "Eine Umkehr in der Verkehrspolitik ist in den Industrieländern notwendig. Oberstes Ziel muss die Verkehrsvermeidung sein. Busse und Bahnen haben Vorrang vor Auto, Flugzeug und LKW-Verkehr."

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Müssen die Tatsachen nicht als exemplarisch gelten für den generellen verkehrspolitischen Trend, zumindest in Deutschland? Politik, Straßenbau und Automobilindustrie haben ein reales Netz geschaffen, das die individuelle wie wirtschaftliche Bewegungsfreiheit erhöhte. Weltweit verknüpft und im Verbund von Straße, Schiene, Wasser- oder Luftweg wurden alle Länder zu Nachbarländern. Wer spricht noch von "fernen Kontinenten"? Verkehr, ob lokal oder global, schafft faktische Netze. Und er greift in Lebensräume und in Landschaften ein, beeinflusst das globale Ökosystem, das Weltklima. Klimakapriolen, Wetterturbulenzen und Ozonloch zeigen uns an: das Universum ist Eins - so die Erkenntnis der alten Griechen und gegenwärtiger Chaosforschung. Alles hängt mit allem zusammen. Was gestern unbesorgt durch den Auspuff gejagt wurde, bereitet uns heute Sorgen. Doch wir treten weiter aufs Gaspedal. Die Diskrepanz zwischen Erkennen und Handeln wächst. Wissen bleibt folgenlos, weil der politische Wille zur verkehrspolitischen Wende fehlt.

Neben den realen Vernetzungen bestehen ideelle Netze, die geistiger Natur sind und recht subjektiv Normen und Werten reflektieren können. Die eine unendliche Welt wird zu vielen Weltbildern. Auch die gleiche Lebens- und Verkehrssituation führt zu individuell verschiedenem Verhalten. Unsere Vorstellungen von Mobilität und Geschwindigkeit prägen Bilder aus Medien, Werbung und Kunst mit. Sie schaffen eigene Wirklichkeiten, beleben unsere Wünsche, beeinflussen Denkmuster und Verhaltensweisen.

Wie stark der globale Klimahaushalt an unseren Verkehrssünden krankt, ob Rettung in Sicht oder unmöglich sei - all das mag unterschiedlich interpretiert werden. Unstrittig ist jedoch, dass der Verkehr Ressourcen und Energien frisst, Landschaften versiegelt, mit Emissionen die natürlichen Kreisläufe belastet (siehe Umweltgipfel in Rio und Klimagipfel in Berlin). Die westliche Ideologie des steten Wachstums, des Schneller-Weiter-Höher, der unbeschränkten Mobilität, befindet sich an einem kritischen Punkt. Seit Jahren! Werbung und Kunst reagieren auf das öffentliche Thema Klima und Verkehr - und völlig anders. Ja, man kann davon sprechen, dass sich Werbung und Kunst in sehr verschiedenen Klimazonen bewegen.
 

"Verkehrs"werbung. Werbung wie Zeitungsanzeige, Großflächenplakat, TV- oder Rundfunkspot werden allgemein als solche erkannt. Ihre Wirkung aber läßt sich nicht kalkulieren. Weder ist Werbung allmächtig, noch der Bürger ohnmächtig. Gekauft wird schließlich auch ohne Werbung und trotz schlechter Werbung. Werbung macht vor allem Sinn als Zerstreuung, sie erzeugt "diffuses Wohlgefühl". Der "Werbezweck besteht darin, das Konsumklima als Trancezustand gesellschaftlich aufrechtzuerhalten." In diesem Sinne heizt sie "Vermodung" und "Vermüllung" (Lothar KÜHNE) entscheidend an.

Werbung im Bereich Verkehr kennen wir vornehmlich als Autowerbung, d.h. Werbung für das Auto. Die Autohersteller erhöhen ihre Werbeaufwendungen kontinuierlich:
1988 1,1 Mrd. Mark; 1991 1,5 Mrd. Mark; 1992 1,8 Mrd. Mark

Der Stellenwert des Autos in Deutschland ist eindeutig: Daimler-Benz, VW, BMW, Opel und Ford rangieren unter den ersten Industrieunternehmen. Der soziologische Befund der "Autogesellschaft" deutet kritisch auf die verkehrspolitische Sackgasse. Das Umweltbundesamt (UBA), unabhängige Verkehrsexperten und Umweltverbände mahnen eine Verkehrswende an. Dagegen beharrt man an Regierungsbank und Stammtisch unbeirrt auf dem ADAC-Slogan von 1973/74 "Freie Fahrt für freie Bürger", und jeder dritte Autofahrer ist Mitglied des ADAC. Die Vorfahrt für das Auto ist wirtschaftlich sanktioniert, denn 5 Millionen Arbeitsplätze, 15 Prozent des Sozialprodukts und 20 Prozent des Exports hängen am Auto. Die Vorfahrt für das Auto bleibt politisch reglementiert und gibt sich demokratisch ("individuelle Freiheit"). Dennoch fährt Werbung seit einigen Jahren mit auf der Umweltschiene. Werbung mit der Natur, nicht für die Natur heißt die Devise.

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"Man sollte meinen, dass umweltbezogene Werbung für Kraftfahrzeuge relativ selten und zurückhaltend sei. Die Kfz-Hersteller lassen indessen kaum eine Möglichkeit aus, Umweltargumente für ihre Erzeugnisse zu verwenden." Wie Hans Georg Graf LAMBSDORF erläutert, gelte die Regelung "schadstoffarm" aus juristischer Sicht nur für die Besteuerung, nicht für Werbezwecke. Es gebe keine schadstoffarmen Kraftfahrzeuge, und so "sind auch Begriffe wie umweltfreundlich, umweltschonend oder umweltverträglich im Zusammenhang mit Kfz a priori anzuzweifeln." Problematisch sei ferner die Werbung mit dem Spritverbrauch (da alte und neue Normen nebeneinander bestehen) und bedenklich die Werbeaussage "Steuern sparen - umweltfreundlich fahren".

Dass Autowerbung auf ökologische Argumentation einsteigt, hat mehrere Gründe. Die Autolobby verdeckt mit verstärkter "grüner" Imagewerbung ihr schlechtes Gewissen, um die Akzeptanz des Automobils ins nächste Jahrtausend hinüberzuretten. Ihre Produktwerbung berücksichtigt auch Käuferwünsche nach Umweltverträglichkeit (CO2-Reduktion durch KAT) und Wirtschaftlichkeit. Denn Autokauf ist kein alltäglicher Vorgang, und neben Geldbeutel, PS und sozialem Prestige werden Folgen für die Umwelt tatsächlich mitbedacht. Und Werbung agiert "positiv", verschweigt die dunklen Kehrseiten der schönen Welt von Lack und Chrom. "Eine Umfrage unter deutschen Werbeleitern weist das Thema Umwelt als erfolgreichste Werbebotschaft aus - und eignet sich vorzüglich zum Etikettenschwindel..." Die Umweltorganisation Greenpeace spricht hier von "Greenwashing".

Feine Werbeslogans mögen da irritieren. Um so verständlicher ist die Forderung des Vizepräsidenten des UBA, Andreas TROGE, Umweltwerbung an transparenten und nachvollziehbaren Kriterien auszurichten. So würden asbestfreie Bremsbeläge gepriesen, der Benzinverbrauch aber bleibe ungenannt. Während PKW mit Katalysator ein Ökozeichen erhalten, geht das alternative Fahrrad leer aus. Der Verkehrsclub Deutschland (VCD) verlangt, auch bei Autos zu warnen, dass sie Umwelt und Gesundheit gefährden.

Wenn wir die gängigen Botschaften der Autowerbung untersuchen, bestätigt sich die alte Werberegel, gefällige Bilder mit Landschaften überzeugen am meisten. Autos stehen auf Großplakaten im Grünen, unter Palmen, an einsamen Stränden, auf den Bergen, vor klaren Seen und blauem Himmel. Eigenschaften wie Sportlichkeit, Eleganz, Dynamik, Bequemlichkeit und Fahrspaß taugen den Kreativen und Marketingleuten in Zeitungsanzeigen allemal mehr denn geringer Benzinverbrauch, kleine PS-Stärke und hohe Abgasnorm als Werbeaufhänger. 1992/93 verkündet Hyundai "Wir haben was gegen die neue Bescheidenheit", Honda lockt unter der headline "Kein Durchschnitt" und Renault verspricht in einem Werbeheft ein "Feuerwerk für die Sinne".

Die Umwelt ist unter die Räder gekommen. Sie wird pausenlos mit Flugzeug oder Schiff durchquert, mit Beton und Gleisen überzogen, von Schadstoffen belastet und dennoch: Auto- und Reisewerbung behaupten das Gegenteil.
 

Schöne Natur als betörende Kulisse - Werbung für unbehinderte Fahrt  Werbung bekräftigt, wie das erste Bild für die AAA 1992 verrät, die Faszination des Autos.

- Eine Kampagne des Bundesministers für die "Verkehrsprojekte Deutsche Einheit" läuft bezeichnenderweise unter dem Motto "Neue Wege braucht das Land". Sie verspricht das Unmögliche: Verkehrswege zu modernisieren und zu erweitern und gleichzeitig die Umwelt zu schonen. Als Beweis hält etwa eine stimmungsvolle Ansicht vom Schweriner See her.
- Golf wirbt mit Glückswochen und vierblättrigem Klee, der die Autosilhouette mit freundlichem Grün füllt.
- Opel legt mit den Windkraftanlagen im Hintergrund ein umweltschonende Fortbewegung nahe.
- Der Peugeot 405 wird in eine Gletscherregion mit erfrischenden Farben (strahlendes Weiß und kühles Blau von Wasser und Himmel) gerückt.
- Die Alleenstraße einer Mercedeswerbung suggeriert mehr Umweltfürsorge, als der verbale Verweis auf optimale Vergasereinstellung.
- Eine PREUSSAG-Anzeige stellt in Wort und Bild die Leistungskraft des Unternehmens heraus. Der Globus schrumpft zum bloßen Aktionsraum für Warenströme aller Art.
- "Mit dem Programm zum Abheben" sucht die Lufthansa Nachwuchs, die Schönheit des Fliegens verdeutlicht ein Sonnenaufgang.
- Im Kampf um Fluggäste startete Lufthansa eine Anzeigenkampagne in den großen deutschen Blättern. Zugvögel stehen symbolisch nicht nur für Flugperfektion, sondern assoziieren zugleich eine harmonische Einheit von Natur und Technik.
- In einer anderen Reiseanzeige erscheint die Erdkugel als kleines Anhängsel der Zündschlüssel. Die Welt steht uns offen...
- "darfs ein bißchen Meer sein" - so lädt die Weiße Flotte zur Bootsfahrt ein.

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Summa summarum gaukelt uns die Werbewelt nur intakte Natur und heile Umwelt vor - nah und fern übrigens. Anstelle der allgegenwärtigen Befürchtung "Umwelt k. o." suggerieren uns die schönen Bilder der Anzeigen "Umwelt o.k." An die betriebswirtschaftlichen Gesetze von Wachstum und Umsatz gefesselt, heißt es volle Fahrt voraus. Ein Umdenken oder Umsteuern ist in den umweltfeindlichen Fahrplänen der Automobilbranche nicht vorgesehen. Autos präsentiert die Produktwerbung als saubere Angelegenheit für eine wunderschöne Erde.
 

Natur aus dem "Gleichgewicht" - Umweltkampagnen anderer Art. Beschränken wir uns auf drei Beispiele. "Rio gegen Klimachaos" - eine Aktion unter Umweltminister TÖPFER, zeigt in einer Anzeige verschneite Palmen im Sommer. Der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen schaltet eine Anzeigenserie "Auf der Spur der Vernunft. Busse und Bahnen" und wirbt für den öffentlichen Personennahverkehr. Hier klingt zumindest an, das natürliche Kreisläufe bedroht sind. Eine WWF-Anzeige mahnt "Mensch, die Zeit drängt" und macht in Wort und Bild auf große Schiffs- und Tankerunglücke aufmerksam; verbunden mit Forderungen für einen sichereren Schiffsverkehr.

Einige Umweltkampagnen jenseits von Auto- und Flugindustrie nehmen Negativbeispiele, um für alternative Verkehrskonzepte zu sensibilisieren. Anstelle ungestörter Idylle rücken sie Störfälle ins Bild. Doch beschwören sie das "Prinzip Hoffnung" und ermutigen zum Handeln (think global, act local).
 

Natur kaputt - empörter Aufschrei als heimlicher Protest. Das, womit viele Autoanzeigen unsere Wahrnehmung besänftigen wollen: grüne Bäume, dichter Wald, blauer Himmel oder sorglose Kinder - dient unter entgegengesetztem Vorzeichen der Anklage des Autos schlechthin. Hier ist der "Spielraum" abgemessen: "Wald oder Auto", "Stop dem Autowahn". Ein Kompromiß scheint ausgeschlossen. Es sind Kinder, Jugendliche und Erwachsene, die ihren Autofrust auf Schildern, an Häusern und Plakatwänden artikulieren. Oft streng, moralisierend, aber nicht ohne jeglichen Witz: die 30 ZONE wird kurzerhand zum 30 OZONER.

Autoprotest als anonyme Anti-Werbung ist weit verbreitet (Graffitis, Flugblätter, Plakate). Er spiegelt reale Fakten und vorhandene Ängste und argumentiert in zweifachem Sinne von unten. Zum einen als Botschaft einer Minderheit, die gegen Kfz-Hersteller und die unkritische Mehrheit der Autobefürworter antritt. Zum anderen gründet die Perspektive von autolosen Kindern und Erwachsenen in der Erfahrungswelt geduldeter Fußgänger.

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Kunst. Kunst befasst sich mit dem Thema Verkehr und Umwelt seit dem Ende des 19.Jahrhunderts. Erinnert sei etwa an Paul CEZANNEs "Der Bahndurchstich" (1870/71) oder Ludwig MEIDNERs expressive Zeichnung des Verkehrsgewirrs in "Berlin. Potsdamer Straße" (1913). Beispiele aus Malerei, Grafik, Karikatur, Skulptur, Objekt- oder Aktionskunst finden sich insbesondere aus den letzten drei Jahrzehnten. Aufsehen erregen Wolf VOSTELLs Betonklotz "Ruhender Verkehr" (1969) ebenso wie Bodo BERHEIDEs "Greenpiece" (seit 1988), einer Wuppertaler Begrünungsaktion, eingeklemmt von einer einer 7 Kilometer langen Verkehrstraße. Mit treffsicheren Karikaturen rückt Horst HAITZINGER, zum Beispiel in dem Band "Globetrottel" (München, 1989), vielerlei Verkehrssünden zu Leibe. Auch künstlerisches Recycling wird probiert. Verbeulte, bemalte, einbetonierte, verpackte, gepresste Autos, Autoteile, Autoschrott, - in der Kunst findet sich alles. So gibt es Motive zu Versiegelung, Lärm, Luft, Ozon, Klimachaos, Artensterben... In der Ausschreibung zum 3.Köpenicker Karikaturensommer 1994 wurde u. a. gefragt "Wann fährt der erste Wassertanker über den großen Ölteich?"
 

Im Reibungsfeld der Widersprüche - Kunst als hintersinniger Wahrnehmungsschärfer. Von der "Fortschrittsgeschichte" des Autowahns aufgeweckt, nutzt Kunst ihre Möglichkeiten, um unsere Sinne zu wecken. Künstler reiben sich an den Licht- und Schattenseiten des (Auto)Verkehrs. Kunst kann das ansonsten Ungesehene, Übersehene, Unbequeme ausleuchten:

- Bernd LÖBACH- HINWEISER startete (1971) eine Aktion per Fahrrad inmitten der rush hours, die mit Witz Nachdenken provoziert. Der über den Kopf gestülpte offene Würfel mit der Aufschrift "Ein Würfel noch atembarer Luft" ist der eigentliche Gedankenauslöser.
- Kain KARAWAHNs "Automobil trifft Baummobil" (1993) stammt aus der Performance FEUERPAUSE, die mit der Frage verunsicherte: "Warum gibt es in Städten keine Waldbrände?" Deutet das Ausbleiben von Feuerbrünsten nicht auf eine noch größere Katastrophe?
- Hermann GRUBs Rollrasenaktion auf dem Berliner Kurfürstendamm (1977) nachempfunden war eine Autoverpackungsaktion der Greifswalder Kampagne "NATURbewusstSEIN" (1994). Der mehrdeutige Akt in einer Fußgängerzone wollte als symbolisches Zeichen für einen grünen Aufbruch und eine ökologische Stadtlandschaft verstanden sein. Kinder eroberten sich hier sofort ihren Spielplatz.
- Wolfgang SCHIFFLINGs Kunstthema ist das Durchdringen von Bewegung, Raum und Zeit. Wenn Mensch und Mobil verschmelzen - eventuell nach einem Unfall, mutiert das Auto zum "Katafalk" (1981), wird zum (Gerüst für den) Sarg.
- Während der zehntägigen Kölner Kunstaktion "Fetisch Auto" (1989) stellte HA SCHULT die "Marmorne Zeit" (hier Foto von Rostock/1992) als unschuldiges Objekt der Begierde vor den Dom. Das spektakuläre Kunstereignis zelebrierte unser Jahrhundert als Jahrhundert des Autos. Zehn Autos wurden in ungewohnte oder gefährdete Umgebungen (beispielsweise in die Luft oder auf den Rhein) gebracht.

Auch Postkartenmotive  leben von unterschiedlichen Handschriften:
- Die Montage von ALBRECHT/d. "CAR-E-Fool oder Einsicht kommt meistens zu spät" (1990) lässt die spitzen Hochglanzvehikel als Bedrohung von Blatt und Baum und Boden, von Frosch und Wiese erkennen.
- Joseph W.HUBER hat etliche seiner "Denkzettel" dem Themenkreis Verkehr, Auto und Fußgänger gewidmet. Eine alltägliche Parkplatzszene verdichtet sich im Foto mit dem Wortspiel "WOHL-STAND" (1986) satirisch ins Gegenteil, karikiert verschleuderte Ressourcen.
- Mit Ironie zieht Freimut WÖSSNERs Karikatur "Zone 30" (1991) gegen die individuelle Anmaßung ungebremster Fahrt (Haben wir dafür Revolution gemacht...?!!).
- Klaus STAECKs plakative Botschaft "Keine Freiheit ohne Verschwendung" (1979) verzichtet auf eine Pointe. Die gleichgerichtete Wort- und Bildaussage aber konterkariert die gängigen Werbebilder.

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Bilder im Widerstreit. Werbung und Kunst entspringen anderen Lebenswelten und bewegen sich in polaren Klimazonen. Auf der einen Seite agieren übermächtig die geschönten Bilder. Das bunte Werbekarussel dreht sich im Selbstlauf, losgekoppelt von der globalen Umweltkrise. Der Vorwurf, Autowerbung mangele es an Problembewusstsein, zielt allerdings ins Leere. Expansive Verkaufsabsicht schließt ökologisches Verhalten geradezu aus. Die Plakate arbeiten rhetorisch, verlangen nach Zuspruch und ignorieren bewusst die erschreckenden Umweltfolgen des privaten PKW-Verkehrs, dessen hochgezüchtete Motorenwelt den Motoren der Natur schadet.

Kunst, auf der anderen Seite, reflektiert solche Zusammenhänge und strebt nach ganzheitlicher Sicht. Künstlerische Bilder stellen das perfekte wie kurzsichtige Idyll der Werbung in Frage, denn sie zeigen etwa, wie unser Planet an den Schleifspuren von Beton und Abgasen leidet. Kunst schärft unsere Antennen für die ökologischen Realitäten, lotet Wahrnehmungsdefizite und überrascht mit immer neuen Blickpunkten, die bildhaftes Nachdenken anregen können. Auch die Klimafalle wird zum Kunstfall. Je intelligenter die künstlerische Ästhetik, desto größer die Resonanz.
 

Kunst und Werbung zum Klimagipfel - März/April 1995. Zur Berliner UN-Klimakonferenz wurden gezielt Kunstaktivitäten initiiert. Allen voran ist vielleicht Ben WARGIN zu nennen mit seinen Projekten "Die Wüste ist in uns - Teil 2": ein konsumkritischer Klima-Kunsttempel im Lindentunnel, eine Straßenbahn als "Vernunft auf Rädern" am Tunneleingang und das Aufstellen eines alten Lastkahns als Klimaboot "Gräbendorf" Unter den Linden. Genannt werden muss ebenso der offizielle Schüler-Wettbewerb des Berliner Senats und des Umweltbundesamtes zum Thema "Klimaschutz".

Das von den Nichtregierungsorganisationen (non governmental organizations, NGOs) anberaumte alternative Klimaforum lud zum Jugend-Künstler-Klimagipfel ein. Die "GRÜNE LIGA" Berlin präsentierte im Tränenpalast zwei Klimafilmtage "Nach uns die Sintflut". Weitere Angebote: die Performance"Der Wald", Konzerte, Ausstellungen und die Großveranstaltung "Together for Nature"... Das internationale Künstlernetzwerk Artists United for Nature warb mit der Aktion Eine Million Unterschriften bis zum Klimagipfel. Stoppt die Klimakatastrophe. "Handeln Hand in Hand" für den Ökologischen Marshallplan.

Während Deutschland nicht bereit ist, in der Klimapolitik eine Vorreiterrolle zu spielen und zum UN-Gipfel beispielhafte Zeichen zur Verringerung des CO2-Ausstoßes zu setzen, wirbt Berlin um so mehr. Seit September 1994 erschien eine monatliche "Information der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umweltschutz und der Bundesregierung" (2.Ausgabe 260.000, 4.Ausgabe 285.000, 6.Auflage 290.000 Exemplare). Enthaltene Artikel und Interviews zeigen theoretisch die Richtung unter Überschriften wie "Neue Wege statt neuer Straßen" oder "Umsteigen schützt das Klima". Dagegen polemisiert ein Beitrag vom Berliner Forum Klimabündnis, der Senat zeige sich zwar mit den Heften als engagierter Klimaschützer, wie aber sehe die Wahrheit in Berlin aus? (Antwort siehe oben: Verkehrsszenario Berlin).

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Fazit. Die Bedrohung unseres Ökosystems bildet keinen imaginären Akt, sie ist weder künstlerische Erfindung noch Werbevision, sondern höchst real. Geschuldet unserer Lebensweise. Die Vorbereitungskommission zur UNO-Konferenz über Umwelt und Entwicklung in Rio (UNCED 1992) zählte zu den nicht tragfähigen westlichen Konsumgewohnheiten den Besitz von Automobilen, weit verbreitete Flugreisen, motorisierten Verkehr und Shopping... Alternative Lösungsvorschläge wie der Ökologische Marshallplan warten indes auf ihre Verwirklichung.

Die Entlastung und Entgiftung unseres Planeten stellt auch eine geistige Herausforderung dar, denn der nötige ökologische Umbau bedingt einen tiefen kulturellen Wandel (Lebensstil, Werte, Normen). Das verlangt nach alternativen Weltbildern. Wie lässt sich aber den Werbelügen von unbeschränkter Mobilität begegnen?
Thesen
- Da freiwilliger Werbeverzicht illusionär ist, muss ein gesetzliches Werbeverbot her. Das allein schon wäre revolutionär - und zweifellos mehrheitsfähig.
- Auto-, Flug- und Reiseverzicht erscheinen in der öffentlichen Debatte als etwas Negatives. Statt dessen brauchen wir eine positive Argumentation, die den Gewinn an Lebensqualität betont und den möglichen Zugewinn an individueller Autonomie. In einem weniger aufwendigen Leben fallen viele Zwänge weg - ein restriktiver Werbestop bringt schließlich auch Erleichterungen.
- Eine Verkehrswende wie der ökologische Wandel insgesamt bedarf sinnlicher Vorstellungskraft. Gebraucht wird die anschauliche Reflexion der konsumregierten Zerstörung ebenso wie visionäre Bilder. Visuelle Medien und Kunst können den Schein wirklichkeitsfremder Werbung korrigieren.
- Wer die kulturelle Dimension von Umweltbildung anerkennt, wird keine Einzelstrategie favorisieren, um die "andere Vernunft" zu entwickeln. Die Evolution stattete den Menschen als vernünftiges Sinneswesen aus. Da, wo die Vernunft auf der Strecke bleibt, müssen wir unsere Sinne reaktivieren. Die emotionale Wirklichkeitserfahrung braucht ästhetisches Gefühl, den Witz und die Freude überraschender Perspektiven, das Nachspüren des Unbewussten, die sinnliche Körpererfahrung, das lustbetonte Naturempfinden, das Spiel der Phantasie, braucht den Genuss körperlicher und geistiger Anstrengung. Kunst in all ihren Facetten kann helfen, ver-rückte Maßstäbe zu überprüfen und leitet uns von der Ächtung der Natur zur Achtung der Natur.

Anmerkungen
Vgl. HELLER, Eva: Wie Werbung wirkt: Theorien und Tatsachen. Frankfurt/Main: Fischer Taschenbuch, 1990. [Bd. 3787]
WYSS, Beate: In der Kathedrale des Kapitalismus. In: Kursbuch (Rowohlt Berlin) Heft 106, S. 19-32
Graf LAMBSDORF, Hans Georg: Werbung mit Umweltschutz. Sonderdruck aus RWW, Rechtsfragen in Wettbewerb und Werbung. Hrsg. von Joachim AMANN und Roland JASPERS. Stuttgart u. a.: Boorberg 1993, S. 105 ff.
AREND, Ingo: Designrevolution. In: Freitag (Berlin) vom 16. 7. 1993, S. 9
"UBA: Öko-Argumente zu oft irreführend." In: GRÜNSTIFT (Berlin) 1/1995, S. 50

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Abbildungen
1.  Faszination Auto.- Autoausstellung Berlin 1992 (Foto: Lebus)
2.  Die beste Astra Werbung ist eine Probefahrt (Foto: Lebus)
3.  Unsere Lufthansa. Ihre Airline. (1994)
4.  Rio gegen Klimachaos. (Bundesumweltminister, 1992)
5.  Wenn wir den Schwerpunkt verlagern, bleibt die Natur im Gleichgewicht. Busse und Bahnen (Verband Deutscher Verkehrsunternehmen / Deutsche Bahn AG, 1994)
6.  30 OZONER (Foto: Lebus)
7.  Bernd LÖBACH- HINWEISER "Ein Würfel noch atembarer Luft", Aktion, Bern (Schweiz) 1971
8.  Wolfgang SCHIFFLING "Katafalk", Papierobjekt, 1981
9.  HA SCHULT "Marmorne Zeit", Objekt von der Kölner 1989er Aktion "Fetisch Auto", Rostock 1992 (Foto: Lebus)
10. Joseph W.HUBER "WOHL-STAND", Denkzettel Nr.17, Postkarte, 1986
11. Klaus STAECK "Keine Freiheit ohne Verschwendung", Postkarte, 1979

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Autor: Dr. Lebus   (1994)   

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