Veröffentlichung
zum Thema Kunst und Klima (1994) -
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Andere
Klimazonen? Verkehrsprobleme im Spiegel von
Werbung und (bildender) Kunst (1994) Hrsg. Angela Franz-Balsen.
Frankfurt a. M.: DIE, 1995. S. 11-32] |
Ich wünsch mir
was: Vorsicht und Maß,
auch noch dies
und auch noch das …
Ich steige
aus, ich bitt euch sehr,
dieser kranke
Run nach mehr.
Die
Wirtschaftsweise, die schmiert ab,
es tobt Spaß
ums letzte Fass.
Ich steige
aus, ich stell mich quer,
dieser ...
Ich wünsche
viel, nur halbe Last,
überkommener
Konsummast.
Ich steige
aus, ich fühl mich leer,
dieser ...
Ein Viertel
nur Weltreiserei,
nicht Krieg,
Waffen, Lügenbrei.
Wann hört das
auf, bitte sehr,
dieser ...
Mancher Abend
ist zu kurz,
mancher Spaß
bringt uns ein Hurz.
Manche Krise
ist zu kurz,
warnt, wir
hören einen P…z.
Auf die
Zukunft, hebt das Glas,
bitteschön,
heut ohne Maß.
[Aus: Claude Lebus, Hommage für Hiddensee. Inselverführt. Gedichte… KDP, 2020]
Klimaschutz verlangt nach einem Umsteuern in der Energie- und
Verkehrspolitik. Um dieses Thema machen auch Werbung und Kunst keinen Bogen.
Wie spiegeln sich wirkliche "Vernetzungen" auf dieser Welt (globales
Klima und Verkehr) in den virtuellen Netzen (Medien, Kunst und Werbung)? Sicher
ist zunächst eines: Werbung und Kunst wollen beide mit ihren Signalen unsere
Wahrnehmungen erreichen. Folgt ihr freier Umgang mit gleichen Gegenständen wie
Globus und Erdressourcen aber nicht andersgearteten, ja entgegengesetzten
Mustern? Auch der Berliner Klimagipfel 1995 ist als herausragendes Ereignis
sowohl ein Fall für die Kunst, als auch für die politische Werbung.
Alternativen für umweltverträgliche Verkehrskonzepte eröffnen sich schon lange.
Doch sie müssen erst durch viele Köpfe - kulturell-ästhetische Umweltbildung
sollte also ernster genommen werden ... und Spaß bereiten.
Verkehrsszenario
Berlin.
Kaum eine Metropole ist von den Verkehrsprojekten Deutsche Einheit so betroffen
wie die neudeutsche Hauptstadt. Der Berliner Senat geht auf allen Feldern von
stark wachsendem Verkehrsaufkommen aus und hätschelt die Natur- und
Landschaftskiller erster Güte:
- Das Projekt
Nr. 17 beinhaltet die Wasserstraßenverbindung Hannover-Magdeburg-Berlin nach
dem Motto tiefer, breiter, gerader.
- Für den ICE
ist eine Schnellbahntrasse Berlin-Hannover geplant.
- Der
Transrapid, ein Geschäft der Luxusklasse, soll Berlin mit Hamburg (oder
andersrum?) verbinden.
- Aufgrund des
Passagierschwunds könnte der Flughafen Tegel bald schließen, während für einen
Großflughafen Berlin-Brandenburg locker über 10 (zehn) Milliarden Mark verplant
werden (der irgendwann als Investruine westdeutscher Planungsbüros dem
"Aufschwung Ost" angelastet wird).
- Teurer
U-Bahnbau wird eher gefördert als die Straßenbahn (die den Autos Platz klaut).
- Lt. Statistik
waren in Berlin 1990 über 1,27 Mill. Kfz zugelassen, bis 1993 folgten weitere
90.000 Zulassungen.
- Damit die
Autos zügiger rollen, erhält die Magistrale 73 km neue Stadtautobahn...
Mit dem
Zusammenbruch der DDR und der Abwicklung alter wie neuer Industriepötte
reduzierten sich die CO2-Emissionen in Berlin um zehn Prozent. Eilfertig
verpflichtete sich der Senat im Klimabündnis europäischer Städte zu einer
Halbierung des Kohlendioxidausstoßes von 1990 bis zum Jahr 2010. Doch schon
sind "Korrekturen" im Gespräch: realistisch sei - vielleicht - eine
Senkung um 25 Prozent. Beim individuellen Straßenverkehr vermindern sich die
Kohlendioxidemissionen gar nur um 7,4 Prozent... Abstriche nimmt man allerorten
in Kauf, denn Aufschwung buchstabiert sich als Ausbau, Neubau, Wachstum des
Verkehrs.
Dagegen
forderten Umweltverbände und -organisationen zum Klimagipfel 1995 als vierten
Punkt: "Eine Umkehr in der Verkehrspolitik ist in den Industrieländern
notwendig. Oberstes Ziel muss die Verkehrsvermeidung sein. Busse und Bahnen
haben Vorrang vor Auto, Flugzeug und LKW-Verkehr."
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Müssen die Tatsachen
nicht als exemplarisch gelten für den generellen verkehrspolitischen Trend,
zumindest in Deutschland? Politik, Straßenbau und Automobilindustrie haben ein reales
Netz geschaffen, das die individuelle wie wirtschaftliche Bewegungsfreiheit
erhöhte. Weltweit verknüpft und im Verbund von Straße, Schiene, Wasser- oder
Luftweg wurden alle Länder zu Nachbarländern. Wer spricht noch von "fernen
Kontinenten"? Verkehr, ob lokal oder global, schafft faktische Netze. Und
er greift in Lebensräume und in Landschaften ein, beeinflusst das globale
Ökosystem, das Weltklima. Klimakapriolen, Wetterturbulenzen und Ozonloch zeigen
uns an: das Universum ist Eins - so die Erkenntnis der alten Griechen und
gegenwärtiger Chaosforschung. Alles hängt mit allem zusammen. Was gestern
unbesorgt durch den Auspuff gejagt wurde, bereitet uns heute Sorgen. Doch wir
treten weiter aufs Gaspedal. Die Diskrepanz zwischen Erkennen und Handeln
wächst. Wissen bleibt folgenlos, weil der politische Wille zur
verkehrspolitischen Wende fehlt.
Neben den
realen Vernetzungen bestehen ideelle Netze, die geistiger Natur sind und recht
subjektiv Normen und Werten reflektieren können. Die eine unendliche
Welt wird zu vielen Weltbildern. Auch die gleiche Lebens- und
Verkehrssituation führt zu individuell verschiedenem Verhalten. Unsere
Vorstellungen von Mobilität und Geschwindigkeit prägen Bilder aus Medien,
Werbung und Kunst mit. Sie schaffen eigene Wirklichkeiten, beleben unsere
Wünsche, beeinflussen Denkmuster und Verhaltensweisen.
Wie stark der
globale Klimahaushalt an unseren Verkehrssünden krankt, ob Rettung in Sicht
oder unmöglich sei - all das mag unterschiedlich interpretiert werden.
Unstrittig ist jedoch, dass der Verkehr Ressourcen und Energien frisst,
Landschaften versiegelt, mit Emissionen die natürlichen Kreisläufe belastet
(siehe Umweltgipfel in Rio und Klimagipfel in Berlin). Die westliche Ideologie
des steten Wachstums, des Schneller-Weiter-Höher, der unbeschränkten Mobilität,
befindet sich an einem kritischen Punkt. Seit Jahren! Werbung und Kunst
reagieren auf das öffentliche Thema Klima und Verkehr - und völlig anders. Ja,
man kann davon sprechen, dass sich Werbung und Kunst in sehr verschiedenen
Klimazonen bewegen.
"Verkehrs"werbung. Werbung wie Zeitungsanzeige,
Großflächenplakat, TV- oder Rundfunkspot werden allgemein als solche erkannt.
Ihre Wirkung aber läßt sich nicht kalkulieren. Weder
ist Werbung allmächtig, noch der Bürger ohnmächtig. Gekauft wird schließlich
auch ohne Werbung und trotz schlechter Werbung. Werbung macht vor allem Sinn
als Zerstreuung, sie erzeugt "diffuses Wohlgefühl". Der
"Werbezweck besteht darin, das Konsumklima als Trancezustand
gesellschaftlich aufrechtzuerhalten." In diesem Sinne heizt sie "Vermodung" und "Vermüllung"
(Lothar KÜHNE) entscheidend an.
Werbung im
Bereich Verkehr kennen wir vornehmlich als Autowerbung, d.h. Werbung für
das Auto. Die Autohersteller erhöhen ihre Werbeaufwendungen
kontinuierlich:
1988 1,1 Mrd. Mark; 1991 1,5 Mrd. Mark; 1992 1,8 Mrd. Mark
Der Stellenwert
des Autos in Deutschland ist eindeutig: Daimler-Benz, VW, BMW, Opel und Ford
rangieren unter den ersten Industrieunternehmen. Der soziologische Befund der
"Autogesellschaft" deutet kritisch auf die verkehrspolitische
Sackgasse. Das Umweltbundesamt (UBA), unabhängige Verkehrsexperten und
Umweltverbände mahnen eine Verkehrswende an. Dagegen beharrt man an
Regierungsbank und Stammtisch unbeirrt auf dem ADAC-Slogan von 1973/74
"Freie Fahrt für freie Bürger", und jeder dritte Autofahrer ist
Mitglied des ADAC. Die Vorfahrt für das Auto ist wirtschaftlich sanktioniert,
denn 5 Millionen Arbeitsplätze, 15 Prozent des Sozialprodukts und 20 Prozent
des Exports hängen am Auto. Die Vorfahrt für das Auto bleibt politisch
reglementiert und gibt sich demokratisch ("individuelle Freiheit").
Dennoch fährt Werbung seit einigen Jahren mit auf der Umweltschiene. Werbung mit
der Natur, nicht für die Natur heißt die Devise.
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"Man
sollte meinen, dass umweltbezogene Werbung für Kraftfahrzeuge relativ selten
und zurückhaltend sei. Die Kfz-Hersteller lassen indessen kaum eine Möglichkeit
aus, Umweltargumente für ihre Erzeugnisse zu verwenden." Wie Hans Georg
Graf LAMBSDORF erläutert, gelte die Regelung "schadstoffarm" aus juristischer
Sicht nur für die Besteuerung, nicht für Werbezwecke. Es gebe keine
schadstoffarmen Kraftfahrzeuge, und so "sind auch Begriffe wie
umweltfreundlich, umweltschonend oder umweltverträglich im Zusammenhang mit Kfz
a priori anzuzweifeln." Problematisch sei ferner die Werbung mit dem
Spritverbrauch (da alte und neue Normen nebeneinander bestehen) und bedenklich
die Werbeaussage "Steuern sparen - umweltfreundlich fahren".
Dass Autowerbung
auf ökologische Argumentation einsteigt, hat mehrere Gründe. Die Autolobby verdeckt
mit verstärkter "grüner" Imagewerbung ihr schlechtes Gewissen, um die
Akzeptanz des Automobils ins nächste Jahrtausend hinüberzuretten. Ihre
Produktwerbung berücksichtigt auch Käuferwünsche nach Umweltverträglichkeit
(CO2-Reduktion durch KAT) und Wirtschaftlichkeit. Denn Autokauf ist kein
alltäglicher Vorgang, und neben Geldbeutel, PS und sozialem Prestige werden
Folgen für die Umwelt tatsächlich mitbedacht. Und Werbung agiert
"positiv", verschweigt die dunklen Kehrseiten der schönen Welt von
Lack und Chrom. "Eine Umfrage unter deutschen Werbeleitern weist das Thema
Umwelt als erfolgreichste Werbebotschaft aus - und eignet sich vorzüglich zum
Etikettenschwindel..." Die Umweltorganisation Greenpeace spricht hier von
"Greenwashing".
Feine
Werbeslogans mögen da irritieren. Um so
verständlicher ist die Forderung des Vizepräsidenten des UBA, Andreas TROGE,
Umweltwerbung an transparenten und nachvollziehbaren Kriterien auszurichten. So
würden asbestfreie Bremsbeläge gepriesen, der Benzinverbrauch aber bleibe
ungenannt. Während PKW mit Katalysator ein Ökozeichen erhalten, geht das
alternative Fahrrad leer aus. Der Verkehrsclub Deutschland (VCD) verlangt, auch
bei Autos zu warnen, dass sie Umwelt und Gesundheit gefährden.
Wenn wir die
gängigen Botschaften der Autowerbung untersuchen, bestätigt sich die alte
Werberegel, gefällige Bilder mit Landschaften überzeugen am meisten. Autos
stehen auf Großplakaten im Grünen, unter Palmen, an einsamen Stränden, auf den
Bergen, vor klaren Seen und blauem Himmel. Eigenschaften wie Sportlichkeit,
Eleganz, Dynamik, Bequemlichkeit und Fahrspaß taugen den Kreativen und
Marketingleuten in Zeitungsanzeigen allemal mehr denn geringer Benzinverbrauch,
kleine PS-Stärke und hohe Abgasnorm als Werbeaufhänger. 1992/93 verkündet
Hyundai "Wir haben was gegen die neue Bescheidenheit", Honda lockt
unter der headline "Kein Durchschnitt" und
Renault verspricht in einem Werbeheft ein "Feuerwerk für die Sinne".
Die Umwelt ist
unter die Räder gekommen. Sie wird pausenlos mit Flugzeug oder Schiff
durchquert, mit Beton und Gleisen überzogen, von Schadstoffen belastet und
dennoch: Auto- und Reisewerbung behaupten das Gegenteil.
Schöne Natur
als betörende Kulisse - Werbung für unbehinderte Fahrt Werbung bekräftigt, wie das erste
Bild für die AAA 1992 verrät, die Faszination des Autos.
- Eine Kampagne
des Bundesministers für die "Verkehrsprojekte Deutsche Einheit" läuft
bezeichnenderweise unter dem Motto "Neue Wege braucht das Land". Sie
verspricht das Unmögliche: Verkehrswege zu modernisieren und zu erweitern und
gleichzeitig die Umwelt zu schonen. Als Beweis hält etwa eine stimmungsvolle
Ansicht vom Schweriner See her.
- Golf wirbt
mit Glückswochen und vierblättrigem Klee, der die Autosilhouette mit
freundlichem Grün füllt.
- Opel legt mit
den Windkraftanlagen im Hintergrund ein umweltschonende
Fortbewegung nahe.
- Der Peugeot
405 wird in eine Gletscherregion mit erfrischenden Farben (strahlendes Weiß und
kühles Blau von Wasser und Himmel) gerückt.
- Die
Alleenstraße einer Mercedeswerbung suggeriert mehr Umweltfürsorge, als der
verbale Verweis auf optimale Vergasereinstellung.
- Eine
PREUSSAG-Anzeige stellt in Wort und Bild die Leistungskraft des Unternehmens
heraus. Der Globus schrumpft zum bloßen Aktionsraum für Warenströme aller Art.
- "Mit dem
Programm zum Abheben" sucht die Lufthansa Nachwuchs, die Schönheit des
Fliegens verdeutlicht ein Sonnenaufgang.
- Im Kampf um
Fluggäste startete Lufthansa eine Anzeigenkampagne in den großen deutschen
Blättern. Zugvögel stehen symbolisch nicht nur für Flugperfektion, sondern
assoziieren zugleich eine harmonische Einheit von Natur und Technik.
- In einer
anderen Reiseanzeige erscheint die Erdkugel als kleines Anhängsel der
Zündschlüssel. Die Welt steht uns offen...
- "darfs
ein bißchen Meer sein" - so lädt die Weiße
Flotte zur Bootsfahrt ein.
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Summa summarum
gaukelt uns die Werbewelt nur intakte Natur und heile Umwelt vor - nah und fern
übrigens. Anstelle der allgegenwärtigen Befürchtung "Umwelt
k. o." suggerieren uns die schönen Bilder der Anzeigen "Umwelt
o.k." An die betriebswirtschaftlichen Gesetze von Wachstum und Umsatz
gefesselt, heißt es volle Fahrt voraus. Ein Umdenken oder Umsteuern ist in den
umweltfeindlichen Fahrplänen der Automobilbranche nicht vorgesehen. Autos
präsentiert die Produktwerbung als saubere Angelegenheit für eine wunderschöne
Erde.
Natur aus
dem "Gleichgewicht" - Umweltkampagnen anderer Art. Beschränken wir uns auf
drei Beispiele. "Rio gegen Klimachaos" - eine Aktion unter
Umweltminister TÖPFER, zeigt in einer Anzeige verschneite Palmen im Sommer. Der
Verband Deutscher Verkehrsunternehmen schaltet eine Anzeigenserie "Auf der
Spur der Vernunft. Busse und Bahnen" und wirbt für den öffentlichen
Personennahverkehr. Hier klingt zumindest an, das natürliche Kreisläufe bedroht
sind. Eine WWF-Anzeige mahnt "Mensch, die Zeit drängt" und macht in
Wort und Bild auf große Schiffs- und Tankerunglücke aufmerksam; verbunden mit Forderungen für einen sichereren
Schiffsverkehr.
Einige
Umweltkampagnen jenseits von Auto- und Flugindustrie nehmen Negativbeispiele,
um für alternative Verkehrskonzepte zu sensibilisieren. Anstelle ungestörter
Idylle rücken sie Störfälle ins Bild. Doch beschwören sie das "Prinzip
Hoffnung" und ermutigen zum Handeln (think
global, act local).
Natur kaputt
- empörter Aufschrei als heimlicher Protest. Das, womit viele Autoanzeigen unsere
Wahrnehmung besänftigen wollen: grüne Bäume, dichter Wald, blauer Himmel oder
sorglose Kinder - dient unter entgegengesetztem Vorzeichen der Anklage des
Autos schlechthin. Hier ist der "Spielraum" abgemessen: "Wald oder
Auto", "Stop dem Autowahn". Ein
Kompromiß scheint ausgeschlossen. Es sind Kinder,
Jugendliche und Erwachsene, die ihren Autofrust auf Schildern, an Häusern und
Plakatwänden artikulieren. Oft streng, moralisierend, aber nicht ohne jeglichen
Witz: die 30 ZONE wird kurzerhand zum 30 OZONER.
Autoprotest
als anonyme Anti-Werbung ist weit verbreitet (Graffitis, Flugblätter, Plakate).
Er spiegelt reale Fakten und vorhandene Ängste und argumentiert in zweifachem
Sinne von unten. Zum einen als Botschaft einer Minderheit, die gegen
Kfz-Hersteller und die unkritische Mehrheit der Autobefürworter antritt. Zum
anderen gründet die Perspektive von autolosen Kindern und Erwachsenen in der
Erfahrungswelt geduldeter Fußgänger.
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Kunst. Kunst befasst sich mit dem
Thema Verkehr und Umwelt seit dem Ende des 19.Jahrhunderts. Erinnert sei etwa
an Paul CEZANNEs "Der Bahndurchstich" (1870/71) oder Ludwig MEIDNERs
expressive Zeichnung des Verkehrsgewirrs in "Berlin. Potsdamer
Straße" (1913). Beispiele aus Malerei, Grafik, Karikatur, Skulptur,
Objekt- oder Aktionskunst finden sich insbesondere aus den letzten drei
Jahrzehnten. Aufsehen erregen Wolf VOSTELLs Betonklotz "Ruhender
Verkehr" (1969) ebenso wie Bodo BERHEIDEs "Greenpiece"
(seit 1988), einer Wuppertaler Begrünungsaktion, eingeklemmt von einer einer 7 Kilometer langen Verkehrstraße.
Mit treffsicheren Karikaturen rückt Horst HAITZINGER, zum Beispiel in dem Band
"Globetrottel" (München, 1989), vielerlei
Verkehrssünden zu Leibe. Auch künstlerisches Recycling wird probiert.
Verbeulte, bemalte, einbetonierte, verpackte, gepresste Autos, Autoteile,
Autoschrott, - in der Kunst findet sich alles. So gibt es Motive zu Versiegelung,
Lärm, Luft, Ozon, Klimachaos, Artensterben... In der Ausschreibung zum
3.Köpenicker Karikaturensommer 1994 wurde u. a. gefragt "Wann fährt
der erste Wassertanker über den großen Ölteich?"
Im
Reibungsfeld der Widersprüche - Kunst als hintersinniger Wahrnehmungsschärfer. Von der
"Fortschrittsgeschichte" des Autowahns aufgeweckt, nutzt Kunst ihre
Möglichkeiten, um unsere Sinne zu wecken. Künstler reiben sich an den Licht-
und Schattenseiten des (Auto)Verkehrs. Kunst kann das ansonsten Ungesehene, Übersehene,
Unbequeme ausleuchten:
- Bernd LÖBACH-
HINWEISER startete (1971) eine Aktion per Fahrrad inmitten der rush hours, die mit Witz
Nachdenken provoziert. Der über den Kopf gestülpte offene Würfel mit der
Aufschrift "Ein Würfel noch atembarer Luft" ist der eigentliche
Gedankenauslöser.
- Kain KARAWAHNs "Automobil trifft Baummobil"
(1993) stammt aus der Performance FEUERPAUSE, die mit der Frage verunsicherte:
"Warum gibt es in Städten keine Waldbrände?" Deutet das Ausbleiben
von Feuerbrünsten nicht auf eine noch größere Katastrophe?
- Hermann GRUBs
Rollrasenaktion auf dem Berliner Kurfürstendamm (1977) nachempfunden war eine
Autoverpackungsaktion der Greifswalder Kampagne "NATURbewusstSEIN"
(1994). Der mehrdeutige Akt in einer Fußgängerzone wollte als symbolisches
Zeichen für einen grünen Aufbruch und eine ökologische Stadtlandschaft
verstanden sein. Kinder eroberten sich hier sofort ihren Spielplatz.
- Wolfgang
SCHIFFLINGs Kunstthema ist das Durchdringen von Bewegung, Raum und Zeit. Wenn
Mensch und Mobil verschmelzen - eventuell nach einem Unfall, mutiert das Auto
zum "Katafalk" (1981), wird zum (Gerüst für den) Sarg.
- Während der
zehntägigen Kölner Kunstaktion "Fetisch Auto" (1989) stellte HA
SCHULT die "Marmorne Zeit" (hier Foto von Rostock/1992) als
unschuldiges Objekt der Begierde vor den Dom. Das spektakuläre Kunstereignis
zelebrierte unser Jahrhundert als Jahrhundert des Autos. Zehn Autos wurden in
ungewohnte oder gefährdete Umgebungen (beispielsweise in die Luft oder auf den
Rhein) gebracht.
Auch Postkartenmotive leben von unterschiedlichen
Handschriften:
- Die Montage
von ALBRECHT/d. "CAR-E-Fool oder Einsicht kommt meistens zu spät"
(1990) lässt die spitzen Hochglanzvehikel als Bedrohung von Blatt und Baum und
Boden, von Frosch und Wiese erkennen.
- Joseph
W.HUBER hat etliche seiner "Denkzettel" dem Themenkreis Verkehr, Auto
und Fußgänger gewidmet. Eine alltägliche Parkplatzszene verdichtet sich im Foto
mit dem Wortspiel "WOHL-STAND" (1986) satirisch ins Gegenteil,
karikiert verschleuderte Ressourcen.
- Mit Ironie
zieht Freimut WÖSSNERs Karikatur "Zone 30" (1991) gegen die
individuelle Anmaßung ungebremster Fahrt (Haben wir dafür Revolution
gemacht...?!!).
- Klaus STAECKs
plakative Botschaft "Keine Freiheit ohne Verschwendung" (1979) verzichtet
auf eine Pointe. Die gleichgerichtete Wort- und Bildaussage aber konterkariert
die gängigen Werbebilder.
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Bilder im
Widerstreit.
Werbung und Kunst entspringen anderen Lebenswelten und bewegen sich
in polaren Klimazonen. Auf der einen Seite agieren übermächtig die
geschönten Bilder. Das bunte Werbekarussel dreht sich
im Selbstlauf, losgekoppelt von der globalen Umweltkrise. Der Vorwurf,
Autowerbung mangele es an Problembewusstsein, zielt allerdings ins Leere.
Expansive Verkaufsabsicht schließt ökologisches Verhalten geradezu aus. Die
Plakate arbeiten rhetorisch, verlangen nach Zuspruch und ignorieren bewusst die
erschreckenden Umweltfolgen des privaten PKW-Verkehrs, dessen hochgezüchtete
Motorenwelt den Motoren der Natur schadet.
Kunst, auf der
anderen Seite, reflektiert solche Zusammenhänge und strebt nach ganzheitlicher
Sicht. Künstlerische Bilder stellen das perfekte wie kurzsichtige Idyll der
Werbung in Frage, denn sie zeigen etwa, wie unser Planet an den Schleifspuren
von Beton und Abgasen leidet. Kunst schärft unsere Antennen für die
ökologischen Realitäten, lotet Wahrnehmungsdefizite und überrascht mit immer
neuen Blickpunkten, die bildhaftes Nachdenken anregen können. Auch die
Klimafalle wird zum Kunstfall. Je intelligenter die künstlerische Ästhetik,
desto größer die Resonanz.
Kunst und
Werbung zum Klimagipfel - März/April 1995. Zur Berliner UN-Klimakonferenz wurden gezielt
Kunstaktivitäten initiiert. Allen voran ist vielleicht Ben WARGIN zu nennen mit
seinen Projekten "Die Wüste ist in uns - Teil 2": ein
konsumkritischer Klima-Kunsttempel im Lindentunnel, eine Straßenbahn als
"Vernunft auf Rädern" am Tunneleingang und das Aufstellen eines alten
Lastkahns als Klimaboot "Gräbendorf" Unter
den Linden. Genannt werden muss ebenso der offizielle Schüler-Wettbewerb des
Berliner Senats und des Umweltbundesamtes zum Thema "Klimaschutz".
Das von den
Nichtregierungsorganisationen (non governmental organizations, NGOs) anberaumte alternative Klimaforum lud
zum Jugend-Künstler-Klimagipfel ein. Die "GRÜNE LIGA" Berlin
präsentierte im Tränenpalast zwei Klimafilmtage "Nach uns die
Sintflut". Weitere Angebote: die Performance"Der
Wald", Konzerte, Ausstellungen und die Großveranstaltung
"Together for
Nature"... Das internationale Künstlernetzwerk Artists United for Nature warb mit der Aktion Eine Million
Unterschriften bis zum Klimagipfel. Stoppt die Klimakatastrophe. "Handeln
Hand in Hand" für den Ökologischen Marshallplan.
Während
Deutschland nicht bereit ist, in der Klimapolitik eine Vorreiterrolle zu
spielen und zum UN-Gipfel beispielhafte Zeichen zur Verringerung des
CO2-Ausstoßes zu setzen, wirbt Berlin um so mehr.
Seit September 1994 erschien eine monatliche "Information der
Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umweltschutz und der
Bundesregierung" (2.Ausgabe 260.000, 4.Ausgabe 285.000, 6.Auflage
290.000 Exemplare). Enthaltene Artikel und Interviews zeigen theoretisch die
Richtung unter Überschriften wie "Neue Wege statt neuer Straßen" oder
"Umsteigen schützt das Klima". Dagegen polemisiert ein Beitrag vom
Berliner Forum Klimabündnis, der Senat zeige sich zwar mit den Heften als
engagierter Klimaschützer, wie aber sehe die Wahrheit in Berlin aus? (Antwort
siehe oben: Verkehrsszenario Berlin).
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Fazit. Die Bedrohung unseres
Ökosystems bildet keinen imaginären Akt, sie ist weder künstlerische Erfindung
noch Werbevision, sondern höchst real. Geschuldet unserer Lebensweise. Die
Vorbereitungskommission zur UNO-Konferenz über Umwelt und Entwicklung in Rio
(UNCED 1992) zählte zu den nicht tragfähigen westlichen Konsumgewohnheiten den
Besitz von Automobilen, weit verbreitete Flugreisen, motorisierten Verkehr und
Shopping... Alternative Lösungsvorschläge wie der Ökologische Marshallplan
warten indes auf ihre Verwirklichung.
Die Entlastung
und Entgiftung unseres Planeten stellt auch eine
geistige Herausforderung dar, denn der nötige ökologische Umbau bedingt einen
tiefen kulturellen Wandel (Lebensstil, Werte, Normen). Das verlangt nach
alternativen Weltbildern. Wie lässt sich aber den Werbelügen von
unbeschränkter Mobilität begegnen?
Thesen
- Da
freiwilliger Werbeverzicht illusionär ist, muss ein gesetzliches Werbeverbot
her. Das allein schon wäre revolutionär - und zweifellos mehrheitsfähig.
- Auto-, Flug-
und Reiseverzicht erscheinen in der öffentlichen Debatte als etwas Negatives. Statt dessen brauchen wir eine positive Argumentation, die
den Gewinn an Lebensqualität betont und den möglichen Zugewinn an
individueller Autonomie. In einem weniger aufwendigen Leben fallen viele Zwänge
weg - ein restriktiver Werbestop bringt schließlich
auch Erleichterungen.
- Eine
Verkehrswende wie der ökologische Wandel insgesamt bedarf sinnlicher
Vorstellungskraft. Gebraucht wird die anschauliche Reflexion der
konsumregierten Zerstörung ebenso wie visionäre Bilder. Visuelle Medien und
Kunst können den Schein wirklichkeitsfremder Werbung korrigieren.
- Wer die
kulturelle Dimension von Umweltbildung anerkennt, wird keine Einzelstrategie
favorisieren, um die "andere Vernunft" zu entwickeln. Die Evolution
stattete den Menschen als vernünftiges Sinneswesen aus. Da, wo die
Vernunft auf der Strecke bleibt, müssen wir unsere Sinne reaktivieren. Die
emotionale Wirklichkeitserfahrung braucht ästhetisches Gefühl, den Witz und die
Freude überraschender Perspektiven, das Nachspüren des Unbewussten, die
sinnliche Körpererfahrung, das lustbetonte Naturempfinden, das Spiel der
Phantasie, braucht den Genuss körperlicher und geistiger Anstrengung. Kunst in
all ihren Facetten kann helfen, ver-rückte Maßstäbe
zu überprüfen und leitet uns von der Ächtung der Natur zur Achtung der Natur.
Anmerkungen
Vgl.
HELLER, Eva: Wie Werbung wirkt: Theorien und Tatsachen. Frankfurt/Main: Fischer
Taschenbuch, 1990. [Bd. 3787]
WYSS,
Beate: In der Kathedrale des Kapitalismus. In: Kursbuch (Rowohlt Berlin) Heft
106, S. 19-32
Graf
LAMBSDORF, Hans Georg: Werbung mit Umweltschutz. Sonderdruck aus RWW,
Rechtsfragen in Wettbewerb und Werbung. Hrsg. von Joachim AMANN und Roland
JASPERS. Stuttgart u. a.: Boorberg 1993, S. 105 ff.
AREND,
Ingo: Designrevolution. In: Freitag (Berlin) vom 16. 7. 1993, S. 9
"UBA:
Öko-Argumente zu oft irreführend." In: GRÜNSTIFT (Berlin) 1/1995, S. 50
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Abbildungen
1.
Faszination Auto.- Autoausstellung Berlin 1992 (Foto: Lebus)
2.
Die beste Astra Werbung ist eine Probefahrt (Foto: Lebus)
3.
Unsere Lufthansa. Ihre Airline. (1994)
4.
Rio gegen Klimachaos. (Bundesumweltminister, 1992)
5.
Wenn wir den Schwerpunkt verlagern, bleibt die Natur im Gleichgewicht. Busse
und Bahnen (Verband Deutscher Verkehrsunternehmen / Deutsche Bahn AG, 1994)
6.
30 OZONER (Foto: Lebus)
7.
Bernd LÖBACH- HINWEISER "Ein Würfel noch atembarer Luft", Aktion,
Bern (Schweiz) 1971
8.
Wolfgang SCHIFFLING "Katafalk", Papierobjekt, 1981
9.
HA SCHULT "Marmorne Zeit", Objekt von der Kölner 1989er Aktion
"Fetisch Auto", Rostock 1992 (Foto: Lebus)
10.
Joseph W.HUBER "WOHL-STAND", Denkzettel Nr.17, Postkarte, 1986
11.
Klaus STAECK "Keine Freiheit ohne Verschwendung", Postkarte, 1979
Andere
Klimazonen? Verkehrsprobleme im Spiegel von Werbung und (bildender) Kunst.
[In:
KUNST – THEATER – KÖRPERARBEIT. Sinnlich-kreative Erfahrungen in der
Klimakommunikation. Hrsg. Angela Franz-Balsen.
Frankfurt a. M.: DIE, 1995. S. 11-32]
Autor: Dr. Lebus (1994)
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