Vortrag/Veröffentlichung
zum Thema Kunst und Klimaschutz (1995) -
© Dr. Lebus, Greifswald - Germany
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Expertisen
anderer Art. Kunstreflexionen zum Klima(schutz). Rückblick,
Bildbeispiele, Thesen. (1995) |
(Einschub 2021)
Hört das Summen
Nicht Insekten müssen brummen,
brummen muss nur das Geschäft?
Was, aber, ist mit den Jungen,
fragt man sie zu allerletzt?
Ob wir Alten erst verstummen,
wenn man uns ins Grab entlässt?
Stehen gemeinsam wir, als Dumme,
klagend einst vorm Erdenrest?
Hört das Summen, hört das Brummeln:
Muss florieren bis zuletzt …
[Aus: Claude Lebus, Inselverführt. Gedichte… KDP, 2020]
Mein Vortrag ist als skizzenhafte allgemeine Bestandsaufnahme
angelegt. Er beginnt
I. mit Text
zum Thema Klimaexpertisen in Religion, Natur-, Geisteswissenschaften und Kunst,
dann folgen
II. einige Dias
zum Thema Kunst und Klima - im schriftlichen Beitrag auf wenige Abbildungen
reduziert
(im , und abschließend
III. folgen Thesen zu umweltkritischen Leitbildern.
I. Schon die Bibel
berichtet als alte Schrift von menschlichen Umweltkonflikten, von Unterwerfung
und Achtung der Natur, von paradiesischen Aussichten und fataler Apokalypse.
Mit ihren
Geschichten zeigt die Bibel, wie der Mensch gottgegebene Naturbande überansprucht, zerreißt, zerstört und mit
- Sintflut
(1.Mose 6ff.),
- dem Untergang
von Sodom und Gomorra (1.Mose 19)
- oder Dürre,
Brandkorn und Hagel (Haggai 2.17) bestraft wird.
- Das letzte
Buch des neuen Testaments schließt mit der prophetischen Mahnung und Warnung
des Johannes (Offenbarung 1ff.), mit dem Weltgericht.
Kirchliche
Glaubenssätze behindern einerseits seit Beginn die Forschung, andererseits
korrigiert die Vorstellungswelt der Bibel das quantitative Weltbild der exakten
Wissenschaften. Ohne Zweifel kann die Religion Defizite der anderen Vernunft,
sprich Lebenssinn, Moral und Ethik, allgemeinmenschlichen Wertefragen, füllen,
und sie öffnet Räume für das Nicht-Sagbare.
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Auch die
politischen, moralischen, quantitativ-praktischen und ästhetischen Dimensionen
des Maßes bzw. Maßvollen scheinen im Bibeltext durch, doch das Messbare steht
bereits vornan, wenn etwa der Prophet (Hesekiel 45.10) die Fürsten auffordert
"Ihr sollt rechtes Gewicht, und rechte Scheffel und rechtes Maß
haben."
Aus dem rechten
und gerechten Maß, der Frage also nach den zumutbaren und verträglichen
Grenzen, machen die Naturwissenschaften eine Grenzwertdiskussion - gerade im so
genannten Umweltbereich. Technologische Normen prägen den Umweltschutz und
unser geordnetes Leben mit Auflagen und Verträglichkeitsprüfungen. Sie reichen
von der Deutschen Industrienorm (DIN), über den TÜV bis hin zu den Technischen
Anleitungen (TA) für Abfall, Lärm und Luft. Leblose Zahlen - die zwar immer
anschaulicher präsentiert werden, doch - wie die Klimaforschung mit ihrer
Produktion endloser Zahlenreihen, Modelle, Alternativen - bislang fast
folgenlos. Was sich lediglich ändert, sind das technische know
how, die Megabyte der Forschungscomputer, die
finanziellen Etats. Kann aber eine Wachstumsbranche wie die Klimaforschung die
Hauptakteure Wirtschaft und Politik von der Notwendigkeit des Gegenteils
überzeugen?
Bei Expertisen
für Planung, Entwicklung, Zukunftsgestaltung zählen nach landläufiger und
regierender Meinung weiterhin diese richtigen Experten, d.h. vorrangig die
Naturwissenschaftler. Geisteswissenschaftler werden zwar berücksichtigt (siehe
Zukunftskommissionen von STOIBER und BIEDENKOPF), spielen aber in einer anderen
Riege. Über RICKERT, DILTHEY, WINDELBAND, LUKACS bis zu Charles Percy SNOWs
"Die zwei Kulturen" (1959) wurde die Unterschiedlichkeit von Kultur-
und Naturwissenschaft reflektiert. Der eine Unterschied: Wertbegründungen kommt
den gebildeten Geistern zu. Nur: mit dem Verfall von Normen und Werten
zerschellen in der Gegenwart viele der aufgeblähten Theoriengebäude von der
nachindustriellen Gesellschaft und kommunikativer Vernunft im herrschaftsfreien
Raum. Die sozialkritischen Diskurse sind von den Hohen Schulen verbannt. Die
gutbezahlten Eliten glänzen mit Anpassung und sammeln heimlich die Warnschilder
an den Sackgassen der Wohlstandsinseln ein. Unverbindlichkeit beruft sich auf
Ausdifferenzierung der Gesellschaft. Den selbstgefälligen Beliebigkeitsaposteln
muss entgegengehalten werden, dass die Meinung, alles sei relativ, gleichfalls
relativ ist. Das beweisen recht eindeutige Tendenzen.
So wird die
Umweltkrise mehrheitlich anerkannt. Mehrheitlich schiebt man auch einen
notwendigen Wandel hinaus. Der mainstream - regiert
von ökonomischer Irrationalität - verkündet trotz schlechter Großwetterlage
Sonnenscheinprognosen. Die Wetterkarten von Politik, Wirtschaft und
tonangebenden Medien versprechen bestes Urlaubswetter.
Eine Minderheit
aus Wirtschaft, Politik, Wissenschaft, Kultur und anderen Öffentlichkeiten
teilt diesen Optimismus nicht. Die Wetterkarten beim BUND, NABU, alternativer
Forschung und grüner Institutionen, vom Umweltbundesamt (UBA) oder Bundesamt
für Naturschutz (BfN) geben Sturmwarnung. Man bewegt
sich also, wie ich an anderer Stelle formulierte, in scheinbar
verschiedenen, ja polaren Klimazonen.
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dass seit
kurzer Zeit gerade die ästhetische Perspektive zum Favoriten aufrückt, hat
mehrere Ursachen. Zum einen die Einsicht, dass weder Technologie noch
Wissenschaft die Umweltkrise beenden, sondern der Lebensstil zur Diskussion
steht. Zum anderen gleiten unsere einfachen Wahrnehmungen nur flüchtig über die
Oberfläche, Vergiftungen lassen sich selten direkt sehen, riechen oder hören.
Schließlich benebeln die viel verbreiteten und schöngefärbten Trugbilder die
Sinne. Und vor allem lähmt die Magie der schönen unnützen Dinge den natürlichen
Selbsterhaltungstrieb des Menschen.
Der notwendige
Wandel braucht eben andere Wahrnehmungs-, Denk- und Gestaltungsweisen, die den
Chancen für einen bescheideneren Lebensstil mit einem mehr an Lebensqualität
aufspüren. Ästhetisches Denken erfordert, sich mit allen Sinnen auf die
Wirklichkeit einzulassen, eine ganzheitliche Sicht zu versuchen und für die
Übergänge von Innen und Außen, Natur und Kultur, Nord und Süd, West und Ost zu
sensibilisieren.
Wir wissen,
dass an solchen Nahtstellen Spannung entsteht. Und wo es spannend wird, gibt es
diese ganz anderen Formen von Wahrnehmung und Gestaltung - als künstlerische
Expertisen nämlich, die mit Phantasie und Poesie Fakten, Trends und Fiktionen
verdichten, verrücken, vernetzen, ins Bild bringen. Kunst als besonderes
ästhetisches Verhalten formt sinnlich-sinnhafte Befunde zu Vergangenem,
Gegenwärtigem und Zukünftigem, begleitet den Sichtwechsel ins hoffentlich
ökologiebewusstere 21.Jahrhundert. Selbst das Engagement einer Minderheit kann
neues Denken anzetteln, um mittelbar zu einem neuen Verhalten beizutragen. Denn
die "Zeit des Sich-Besinnens ist vorbei" (Curtis BRIGGS,
Geschäftsführer von Artists for Nature, AfN).
Veränderungen
stehen ins Haus. Die ewigen Wiederkehr des Gleichen
unter dem Vers: es "geschieht nichts Neues unter der Sonne" (Salomo
1.9.), ist ein konservativer Glaubenssatz und ebenso frommer Wunschtraum wie
die Verheißung des Herrn nach dem Ende der Sintflut und Noahs Dankopfer:
"Solange die Erde steht, soll nicht aufhören Saat und Ernte, Frost und
Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht" (1.Buch Mose 22). Nichts bleibt,
wie es ist - das gilt für die Ausmaße der Umweltbelastungen, wie für das Antlitz
der Erde...
II. Das kann Kunst
exemplarisch belegen. Bei den Beispielen verzichte ich auf drei wesentliche
Gruppen - zum ersten auf die Karikatur als massenwirksamste grafische Form, zum
zweiten auf das Globusmotiv als verbreitestes
umweltkritisches Symbol, und drittens auf landschafts- und
lebensraumgestaltende Alternativen.
Der
Naturbegriff hat sich wenig gewandelt, das Naturbild um so
entschiedener. Bereits im "Garten der Natur" (1410) ist Natur das
Gegenüber, das gezähmt und befriedet werden muss. Diese menschliche Anstrengung
führt im Laufe der Jahrhunderte zu einer deformierten technischen
Landschaftsgestalt, etwa zum "Mechanischen Garten" Hanna HÖCHs
(1920).
Im Vergleich zwischen
damals und heute gilt ähnliches für die vier Elemente Wasser, Boden, Luft,
Feuer: Zeigt uns ALLORIs "Korallenfang" (1600) in sinnenfreudiger
Inszenierung zwar einen übervölkerten Strand, so scheint das Meer
unerschöpflich und sind die Boote noch mit reichem Fang überladen. Reichen Fang
anderer Art versprechen heutige Fischzüge: Zivilisationsreste, Müll, Abfälle,
welche Mo EDOGA in der Skulptur "Huldigung an Vater Rhein" (1988ff.)
zusammenschnürt.
Der
Boden als Lebenselement und offenes Ökosystem findet in DÜRERs
"Das große Rasenstück" (1503) schon künstlerische Reflexion. Kazuo
KATASEs "Erdmeer" (1985) hält auf einem
Foto die endlose, einförmige und leere Ackerfläche fest, die im Vordergrund
zwei überlange Ruderblätter überspannen. Komposition und Titel, der auch die
unerfindlichen Launen des Meeres erinnert, rücken den anmaßenden menschlichen
Bodengebrauch in den Blick.
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Luft:
William TURNERs geheimnisvolle Malerei "Schatten und Dunkelheit. Am Abend
vor der Sintflut" (1843) verbeugt sich vor der Naturgewalt und mahnt
andeutungsweise vor der Macht der Winde. Bernd LÖBACH-HINWEISERs Fahrrad-Aktion
"Ein Würfel noch atembarer Luft" (1971) signalisiert inmitten
quirligen Autoverkehrs augenfällig den industriellen Bruch hin zum unbesorgten
Umgang mit der gefährdeten Ressource Luft.
Sonne/Feuer:
FRIANOs bekannter "Sturz des Ikarus" (1570/71) scheint als
individuelles Scheitern noch ein Grenzfall, der die anderen aufmerken lässt.
Die zeitgemäße Aktion "Feuerpause" (1993) Kain
KARAWAHNs symbolisiert in dem Abfackeln eines Baumes neben einer spiegelnden
Blechkarosse den Normalfall: Den verbrannten Baum sucht man im urbanen Raum
vergeblich, denn es ist Feuerpause - die Städte können keine Waldbrände bieten,
dafür um so mehr feuergefährliche Automobile vor
monotoner Kulisse.
In der
aktuellen "Klimakunst" (Künstler verzeiht mir bitte!) lassen sich
kaum eindeutige Tendenzen ausmachen. Viele Beispiele überzeugen mit
realitätsnahen Inszenierungen, symbolischer Verdichtung und meditativen
Elementen. Die Rio-Ausstellung "Klima Global" (1992/93) präsentierte
die verschiedensten Handschriften. Da installierte Pedro ROMERO das "Teatro
Amazonas", ein erschlagendes Mix von hand- bis
tellergroßen Figuren, Dingen, Produkten, Zivilisationsrelikten, Fotos und (Zeitungs)Dokumenten des Mit- und Gegeneinander indianischer
und "moderner" Kultur. Antony GORMLEY "Amazon Field" bildet
aus 25.000 kleinen gebrannten Tonfiguren einen beschwörerischen
Großkreis, der auf den Naturstoff, auf menschliches Gestaltvermögen, auf
denkbare Beschäftigungsinitiativen und auf massenhafte Arbeitslosigkeit
verweist. Marina ABRAMOVICs "6 Quarzblöcke und Holzschemel" (1992)
leben vom Kontrast des traditionellen vergänglichen mit dem neueren langlebigen
Werkstoff im kontemplativen Szenario.
Zum Klimagipfel
in Rio (1992) lief ein Wettbewerb "Rio-Grafiken" mit prägnanten
künstlerischen Ergebnissen. Wenige Beispiele aus Fauna und Flora legen sich als
Buchstaben zum Appell "LET THEM LIVE" (István GROSZ). Zwei
Ahornblätter verknüpfen einerseits das lebensfrische Grün mit dem
Naturkreislauf und andererseits verwelktes Braun mit dem Wachstum der
Industriekultur (MIRAN). Ein anderes Poster verschmilzt "MAN + NATURE. THE
FUTURE OF DEVELOPMENT", in dem es im Profil eines Hinterkopfs einen Wald
ansiedelt, ein Schneckengehäuse zum Ohr formt, während grüne Blätter die Luft
zum Atmen bilden (X.BERMUDEZ). Viele eingängige Bilder formen zumindest symbolische
Alternativen, die - angesichts bedenklicher Krisenentwicklungen - Lebenslust
auf Veränderung und bessere Klimafürsorge verheißen können.
Nach wie vor
folgt der (westliche) Lebensstil aber suggestiven Leitbildern anderer Art. Sie
finden ihren Ausdruck auch in tausendfachen Werbebildern. Eingefangen von
BOURKE-WHITEs Foto "Während der Flutkatastrophe" (1937): eine
bedürftige Menschenschlange vor riesiger Autowerbung "World`s
highest standard of living. There`s
no way like the american way".
Das Mineralwasser "Glashäger" plakatiert
seit 1994 unter dem Slogan "Eins der vier Elemente zu kaufen. Ein Wasser
fürs Leben". Und seit November 1995, rechtzeitig zu unserer Bonner
Klimakonferenz, wirbt Benson & Hedges mit einem qualmenden Vulkan und der
Botschaft "Mutter Erde raucht doch auch". Das ist die dominierende
Werbebotschaft: prima Klima, alles paletti...
Natürlich
lassen sich viele gegenläufige Werbebeispiele ausmachen, so aus der
Rio-Kampagne des BMU "Rio gegen Klimachaos" (1992), oder der SAT-Spot
"TV for Nature" (1993) für eine
Umwelt-Fernsehwoche. Schließlich noch ein letztes Beispiel für einfallsreichen
Protest, der in Hannoveranischer Randlage die 30 Zone
in eine "30 OZONER"-Straße (1992) verwandelte.
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Umweltbewusste
Kunst, Werbung und Protest inszenieren nicht nur Störfälle, sie provozieren
auch mit ironischem Hintersinn, werben mit "schöner" Natur und
lustvollen Alternativen.
III. Thesen zur Klimareflexion in der Kunst
1. Das
göttliche Strafgericht ist menschenverachtend, es zwingt und demütigt den
Menschen. Verbote, Zwänge, Gesetze allein können langfristig kaum
naturverträgliches Verhalten absichern. Positive Visionen scheinen gefragt.
Aber ist das Gegenteil vom Falschen richtig?
2. Denn
positives Denken wird allerorten gefordert. Es beherrscht als Normativ auch die
Umweltbildung, verbietet Weltuntergangsstimmung, Pessimismus - und schließlich
Kritik überhaupt. Unter diesem Ausschluss des Negativen leidet einerseits der
analytische Wirklichkeitssinn, andererseits wird positives Wunschdenken - als
Ideologie - produziert.
3. Nur die
Kunst erlaubt absolute geistige Freiheit, rücksichtslose Kritik, entlastetes
Spiel, simulierte Praxis, das unbeschwerte Durchprobieren von Alternativen.
Kunst ist Zukunftswerkstatt. Sie bietet offenen Dialog mit offenem Ausgang.
4. Kunst ist
für die grüne Bewegung nicht nur ein weites, sondern auch ein fernes Feld.
Wenn, dann möchte man sie eindeutig haben und zum Nulltarif. Künstlerische
Diagnosen und Entwürfe vertragen keine Reglementierung. Die tradierten Vorzüge
figürlich-gegenständlicher Kunst und fassbarer Aktionen besitzen erklärbare
wahrnehmungspsychologische (und also auch wirkungsästhetische) Gründe. Sie
liefern keinen Ausschlussgrund für andere Kunstrichtungen. Kunst, ich
wiederhole mich, verträgt keinerlei Vorgaben. Und sie sollte angemessen bezahlt
werden.
5. Manche
künstlerische Aussagen sind kaum entschlüsselbar,
andere recht illustrativ. Die qualitative Schwelle für gute "(Klima)Kunst"
liegt vielleicht in dreierlei: erstens setzt sie optische Kontrapunkte zum
allgegenwärtigen Bilderbrei, zweitens verschmilzt sie eine sinnfällige wie
eigenwillige und originäre Gestalt, drittens initiiert ihre sinnliche Form
geistige Anstöße.
6. Kunst(geschichte) lebte zu großen Teilen von Nachahmen und
Erfinden geschönter Natur, gleichwohl liefert (bildende) Kunst ungezählte
umweltkritische Befunde menschlicher Anmaßung und Raubbaus anhand glatt
gebügelter Landschaften mit geschliffenen Bergen, durchschnitten von Kanälen,
überzogen mit Schienen und Straßen.
7. Darüberhinaus wartet Umweltkunst nicht nur mit ernsten
biblischen Bildern (Sintflut, Arche, Apokalypse) und neuen Motiven (Ozon,
Klimakatastrophe etc.) auf, sie pflegt in ihren besten Beispielen Ironie (bis
schwarzen Humor).
8.
"Klimakunst" begann mit der Spurensuche menschlicher Natureingriffe,
schreitet über schrille Katastrophenszenarien zum allumfassenden Erdmotiv und ermöglicht so globalästhetisches Wahrnehmen
und setzt kunstgemäße Handlungsimpulse. Konkrete Ab-Bilder und Warn-Bilder sind
nicht überholt. Doch verbreiten sich symbolische Figuren, in der sich Mensch
und Natur vereinen (siehe Rio-Grafik von X.BERMUDEZ) oder Kunstfälle, in denen
zur praktischen Landschaftsgestaltung übergegangen wird. Um praktische
Alternativen bemühen sich z.B. die ökologiebewusste Kunst des Baumpaten Ben
WARGIN, die von Bea VOIGT initiierten Kunst-Kultur-Ökologie-Projekte, HARRISONs
Muldeauen-Konzept zur Revitalisierung vom
Landschaftsraum in Bitterfeld, oder Teile der Landschaftsplanung von Karl
GANSER zur Gestaltung des Emscher Park im Ruhrgebiet.
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9. Die
Wachstumsprämissen der Wirtschaft, die weitgehende Privatisierung der Gewinne,
die Vergesellschaftung der ökologischen Risiken und die Individualisierung der
Verantwortung (die von Umweltbildung mit forciert wird) führt zu einem
gewaltigen Problemstau. Verschuldet durch vorsätzliche (wirtschafts)politische
Abwehr des anstehenden Wandels ist ein unerträglicher Reformstau entstanden.
Das "Prinzip Hoffnung" aber lebt. In jeder Dramaturgie folgt dem
retardierenden Moment ein überraschender Wendepunkt.
All
diesen Symptomen ist "Umweltkunst" auf der Spur, sie beleuchtet - im
übertragenen wie unmittelbaren Sinne - das soziale und städtische Kleinklima,
die unterschiedlichen Klimazonen und das Weltklima. Engagierte Kunst erfasst
gesellschaftliche Bewegungstendenzen, pointiert sie, sucht nach lebensfähigen
Mustern. Das geschieht ohne die Rhetorik der Werbung, ohne den Imperativ des
Kaufens, ohne den Leerlauf politischer Sprache.
10. Kunst
verlangt als unabhängige kommunikative Wetterwarte Bürgerbeteiligung, eben
Dialog. Ihre Faszination rührt nicht nur vom inhaltlichen Tabubruch her, sie
elektrisiert als Gefühlslokomotive und Herzensbrecher, ist Trauminsel,
Zeitbeschleuniger und Notbremse zugleich. Kunst braucht intensiven Kontakt,
also Zeit, Zuwendung, Zärtlichkeit, angemessene Präsentation. Auf etliches wäre
zu verzichten - auf Kunst nicht. Hier hat die Umweltbewegung großen
Nachholbedarf...
11. Was aber
bewirken umweltkritische Leit-Bilder und Aktionen angesichts der Magie der Hor(r)orskope, der Faszination
der Werbung, des Blendwerks der Medien und des Schwarzen Peter im öffentlichen
Haushalt, der zumeist im ärmlichen Kulturressort landet? Bilder können nur
durch Bilder ersetzt werden. Umweltkritische Kunst induziert alternative Leit-
und Welt-Bilder.
Das erfordert
eine mindestens zweifache Gratwanderung: Erstens professionelle
Kunst-/Werbemittel ohne in plakative (Anti)Werbung abzugleiten, und zweitens
eine gewisse Quantität, gepaart mit Beharrungsvermögen, ohne am Umsatztropf zu
hängen. Viele Künstler bringen sich in Wettervorhersage und -beobachtung ein -
ob als individuelles Kunstunternehmen (siehe Bernd LÖBACH-HINWEISER) oder als
globales Netzwerk (siehe Artists United for Nature).
Jede qualifizierte Kunstsicht wird gebraucht.
12. Zwischen meterologischer Station und Kunst bleibt ein Unterschied
bestehen. Während die einen immer mehr Instrumente anhäufen (Anemometer,
Barometer, Hygrometer, Pyrheliometer, Radiometer, Thermometer,... Wettersatellit) und sich am Meßbaren halten, loten die anderen auch das Nichtmessbare,
Unsagbare, Unsichtbare, das Nichtwissen, unsere Ansprüche und Ängste aus. Und steckt
nicht in vielen kleinen Gedichten, Bildern oder Theaterstücken mehr an Wahrheit
und Zukunftsdiagnose als in endlosen Computertabellen?
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Bilderanhang: (kleine Auswahl der Dia-Reihe)
-René
MAGITTE, 1940: Naturschauspiel
-Mo
EDOGA, 1988ff.: Huldigung an Vater Rhein
Repro
aus: ZEITmagazin 25/1992 (Originalfoto: Wolfgang NEEB)
-Kazuo
KATASE, 1985: Erdmeer
Repro
aus Kunst + Unterricht 103/1986 (Originalfoto: Sammlung NEUFELDT, München)
-Bernd
LÖBACH-HINWEISER, 1971: Ein Würfel noch atembarer Luft
Repro
aus Katalog: Bernd-Löbach-Hinweiser.
20 Jahre Umweltkritische Kunst. 1970 - 1990.
-Kain KARAWAHN, 1993: Feuerpause
Postkarten:
Kain KARAWAHN, Berlin
-Antony
GORMLEY, 1992: Amazon Field (25.000 Tonfiguren)
Foto:
LEBUS (UMWELTgut greifswald)
-Xavier
BERMUDEZ, 1992: MAN + NATURE. THE
FUTURE OF DEVELOPMENT.
Repro aus:
Rio-Grafiken 1992: 30 Posters on environment and
development. The United Nations Rio-Conference `92.
-Werbung
Glashäger, 1994: Eins der vier Elemente zu kaufen
Foto:
LEBUS (UMWELTgut greifswald)
-Werbung
BENSON & HEDGES. SIMPLY GOLD, 1995: MUTTER ERDE RAUCHT DOCH AUCH.
-Schilderprotest,
1992: 30 OZONER
Foto:
LEBUS (UMWELTgut greifswald)
[In:
Bürgerbeteiligung und lokale Klimaschutzpolitik. Hrsg. von Theo BÜHLER. Bonn:
Eigenverlag Wissenschaftsladen Bonn, 1996. S. 217 - 222]
Autor:
Dr. Lebus (1995)
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