Veröffentlichung
zum Thema Kunst und Ökologie (1996) - © Dr. Lebus,
Greifswald - Germany
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Von der
Höhlenmalerei zur ökologischen Kunst. in der
Bildenden Kunst (1997) Hrsg. Andreas Pallenberg. Bonn: Wissenschaftsladen 1997, S. 16-31] |
"Es gibt immer Leute, die Geometrie lieben,
und Leute, die Bäume
lieben."
A. R. PENCK (1989, "Tendenz zur Archaik")
Von der Höhlenmalerei
spannt der Aufsatz den Bogen über einige Entwicklungsrichtungen in der
bildenden Kunst im Verhältnis zu Landschaft - und oft damit gleichgesetzt Natur
- hin zu gegenwärtigen Kunstreaktionen auf die menschenverschuldete
Umweltmisere. Einzelne Gliederungspunkte beleuchten Magie, Tiermotive,
Gartenkunst und Baumsymbolik in der Kunstgeschichte. Nach einer Skizze zum
Globusmotiv und weltweiten Aktionen folgt ein knapper Rückblick auf die Ende
der 60er Jahre aufkommende "Umweltkunst" und die aktuelle
"ökologische Kunst". Thesen zum Verhältnis Ökologie - Kunst -
Umweltbildung beschließen den Text, der eine Annäherung an das Phänomen
Umweltkunst versucht.
Die Auswahl
der Beispiele fällt schwer, aber noch schwieriger scheint die Auswahl
geeigneter und reproduktionsfähiger Fotos. Sind es doch gerade die unzähligen
Details, die Vielzahl künstlerischer Handschriften, die verblüffende Vielfalt
an Werken und Aktionen, die wenigstens mit einem Vorurteil aufräumen können:
dass nämlich Kunst Umweltthemen plakativ, dunkel, einfallslos gestaltet, nur
Untergangsstimmungen illustriert. Die Potenz künstlerischer Gestaltung und ihre
sensible Entdeckungsfreude erweisen sich in allen Beiträgen des vorliegenden
Bandes. Chancen werden also sichtbar, Kunst als ein Medium der
Umweltbildung zu nutzen. Vielleicht kann Kunst auf ihren phantastischen Reisen
in die Wirklichkeiten am besten die Balance zwischen innerer und äußerer Natur
wägen?
Natur existiert vor dem
Auftreten des homo sapiens, dann mit ihm. Anfangs eine dunkle,
undurchschaubare, nahe und gewalttätige Macht, mit der das einzelne
Menschenschicksal elementar, willenlos und wissenslos zusammenhängt. Die erste
Umweltbildung erfolgt nur instinktiv und dann durch immer bewussteres
Wahrnehmen. Das ganzheitliche Leben mit der Natur in der älteren Steinzeit
(Paläolithikum) bedingt - zurückschauend - ein Ausgeliefertsein und ist nicht
romantisch zu verklären.
Interessant
in unserem Zusammenhang aber ist, dass bald schon die "Kunst" als
Medium der Naturaneignung entdeckt und ausgeformt wird. Zur unmittelbar
praktischen Lebenssicherung entwickelt der Mensch die Magie (Jagd-/Fruchtbarkeitszauber)
und gebiert damit die erste "Kunstform", in der Tanz, Gesang und
bildliche Darstellung die Darsteller mit dem Dargestellten vereinen. Später
werden die jüngeren Steinzeitmenschen sesshaft, domestizieren Tiere und Pflanzen,
beginnen mit dem Ackerbau. Diese (neolithische) Revolution verschafft dem
Höhlenwesen und umherstreunenden Jäger und Sammler die erste größere Denkpause.
Der Ackerbauer tritt in die Geschichte ein.
"Agricultur" (lat.) verweist - wie das zugehörige Verb "colere" - auf die Quelle von Kultur: 1. urbar
machen, pflanzen; 2. pflegen; 3. verbessern. Natur wird kultiviert, verliert
ihre Fremdheit und erscheint immer mehr als das bezwingbare Gegenüber (vgl. 1.
Buch Mose 1.26 und 1.28). Die Landschaft wird zum sozialen, bewirtschafteten,
geografisch vermessenen Raum und politisch markierten Ort. Die Dörfer blühen
auf, dann die urbanen Orte, Siedlungen wachsen zu antiken Städten. Bereits im
Mittelalter setzen Landflucht und Landvertreibung ein. Derweil entfaltet der
Ingenieurgeist seine Naturherrschaft in Bauarchitektur, Maschinentechnik und
Kanalsystemen. Fortschritte sind unbestreitbar. Unausweichlich stellt sich die
Frage, inwieweit mit den Jahrhunderten Lebensräume zu bloßen
Wirtschafts- und Warenräumen degradieren, der Fluss zur Wasserstraße, der Wald
zum Jagd- und Holzrevier?
Unsere
Naturverhältnisse unterliegen Veränderungen. Schützen die zweite Haut
(Kleidung) und dritte Haut (Behausung) den Menschen vor Naturunbilden, so
befreien die industriellen Revolutionen des 19. und des 20. Jahrhunderts die
Menschen allmählich von körperlichen Mühsalen. Moderne Technologien und
Metropolen lösen gleichzeitig unsere Naturbindungen. So verstärkt sich etwa die
Landflucht der Dorfbewohner, während inzwischen die Großstadtmasssen
mit Stadtflucht reagieren.
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"Sanfter
Tourismus", "Ökotouren", "Safaritrips", "Urlaub
auf dem Lande", Trekking (mehrtägige Wanderungen in unberührten
Gefilden), Survival Training
(Überlebenskurse in der Wildnis), River-Rafting (Befahren von Wildwasser
in Gummibooten) - viele Formen neuer "Naturbegegnung" und
Erlebnisgier beleben die Sinne und das Geschäft. Vor dem Jahrtausendwechsel
2000 steigert sich westeuropäische Natursehnsucht zur Natursucht,
verstärkt der zunehmende Drang in die Natur den Druck auf die
Natur. Der ADAC tritt als Alleenfreund und Naturschützer auf, während ganze
Baumreihen für die freie Fahrt ins Grüne geopfert werden. Irgendwann ersetzen
(Fotodokument von Ullrich MERTENS "Statt-Ökologie", Marseille,
ca. 1989) die an Häuserwände und Giebel gemalten Baumsilhouetten das
zubetonierte Grün.
Die
Kehrseiten und Langzeitfolgen unserer Eingriffe in biologische Lebensräume und
Gleichgewichte spüren wir immer stärker. Verschlissen werden die letzten
Naturreste und funktionierenden Kulturlandschaften. Aber halt. Zunehmend steigt
die Akzeptanz von Naturschutzgebieten, Landschaftsschutzgebieten, Bioshärenreservaten, Naturparks und Nationalparks. Und ökologische
Produktion, ökologisches Design, ökologischer Landbau und Ökomärkte sind nicht
nur Traumgebilde. Natur gerät als vieldeutiger Begriff zum Zauberwort
einer sich verschleißenden Moderne, trägt Abschied und Hoffnung gleichermaßen
in sich.
So beweisen
die "grünen" Kunstzeichen auch, dass die Sensibilisierung für unser
Umweltverhalten in den beiden zurückliegenden Jahrzehnten große Sprünge gemacht
hat, positiv betrachtet werden kann. Kein Grund zu Freudensprüngen, aber
immerhin. Anteil an dieser zuversichtlich stimmenden Bewusstseinsentwicklung
haben Kunst, Wissenschaft, grüne Politik und die verschiedensten
Vermittlungsbemühungen (siehe Umweltbildung). Immer gab und gibt es zur
Naturentfernung und -entfremdung geistige und gelebte Gegen- und Ausgleichsbewegungen:
in Naturphilosophie, Buddhismus, ZEN, Romantik, Gartenkunst, Lebensreformer,
Vegetarier, grüne Politik und eben in den Künsten...
Rüde
Wissenschafts- oder Technikfeindlichkeit bieten keinen Ausweg. Denn, so der
Künstler Tomas GÖRRIS, "das Paradies ist nie die Idee von etwas
dschungelhaft-unberührtem gewesen, es ist der ´Garten Eden´, der gepflegt und
bebaut werden muss, um erhalten zu werden und den Menschen als Teil dieser Welt
zu erhalten." Für GÖRRIS muss sich die Kritik gesellschaftlicher Mechanismen,
die die andauernde Umweltzerstörung decken, verbinden mit einem neuen
dialogischen Naturverhältnis. "Intensive Hingabe und Aufmerksamkeit
gegenüber den Zeichen und Prozessen der Natur, lauschende, liebevolle Zuwendung
wird eine emotionale Bindung wachsen lassen." Nur müssen daraus andere
Lebensmuster erwachsen. Den entgegengesetzten aber dominanten Vorgang benennen
seit 1992 die Jahrestreffen umweltengagierter Schriftsteller in Deutschland als
"Verkauf und Verlust der Seelenräume". Denn die aufgeklärte
Suche nach dem Schönen, Guten und Wahren führt fatalerweise zur Expansion der
gegenständlichen Welt, endet im Supermarkt der schönen guten Waren und beschert
uns eine verheerte und vollgemüllte Erde. Alles hat,
bis eben auf die Natur, seinen Preis.
Das Ausmaß
der so genannten "Denaturierung" erfasst der menschliche
Sinnesapparat nicht. Mit dem geschwinden Tempo von Produktion, Verkehr,
Handels- und Tourismusströmen oder Medienbilder schwinden uns die Sinne.
Mitunter schwindeln wir uns fleißig in die eigene Tasche, sehen weg, hören weg,
tabuisieren. Helfen bei der notwendigen Sensibilisierung können die Spielformen
umweltkritischer und ökologischer Kunst. "Umweltkunst" nährt sich aus
verschiedenen Strömungen und entwirft mit kleinen Gesten oder großangelegten
Experimenten eine andere, nämlich ökologische Kultur. Sicher, der Mär vom
lediglich notwendigen positiven Denken ist zu misstrauen, denn Apokalypsen sind
selten geworden und "ohne Welt-Ende kein neuer Welt-Anfang".
Verteidigen aber sollte man hauptsächlich das "Prinzip Hoffnung"
gemäß dem Moto: seien wir Realisten und verlangen das
Unmöglich.
Auffallenderweise halten sich bei solchen Gegenwartsthemen die etablierten
Kunstwissenschaften zurück. Ökologische Kunst gilt ihnen als Fremdwort,
ja als Unwort. Ästhetik, Kunsttheorie und Philosophie diskutieren eher
unanstößige Theorien der Simulation, der Postmoderne oder der Ästhetisierung
der Lebenswelten. Bei genauem Hinsehen entpuppt sich manches als Leerformel,
als geistreiche Spielerei, die dem Diktat des Unpolitischen und Unverbindlichen
gehorcht. Die theoretische Reflexion der sozialen und ökologischen Talfahrt
stellt aber eine zentrale Herausforderung dar. Vokabeln alleine genügen nicht
mehr. Vor 20 Jahren waren "globales Denken" und "Umweltpolitik"
alternative Reizwörter. Inzwischen haben sie ihren Gang durch die Instanzen
beendet, über die Folgen läßt sich streiten. Wenn
praktische Konsequenzen ausbleiben, so liegt es auch daran, dass Erkenntnis
ohne emotionale Vermittlung kaum handlungsorientierend wirkt. So
entstehen die weißen Flecken unserer Wahrnehmung (ebenso gilt, nur was ich
weiß, das sehe ich). Debatten um den emotionalen IQ und soziale Kompetenz
zielen in ähnliche Richtung. Genau das aber ist ein Arbeitsfeld von Kunst.
Gernot BÖHMEs
Plädoyer "Für eine ökologische
Naturästhetik" (1989), die das "Sichbefinden
in Umwelten" zum Gegenstand hat, definiert das handlungsentlastete
Spiel zur Kompetenzerweiterung als wesentlichste Funktion von Kunst. Kompetenz
meint hier vornehmlich Wahrnehmungsfähigkeit. Ihr Vermögen besteht im
differenzierten Wahrnehmen, im Einüben von Verhalten, im geistigen Ausschreiten
von Spielräumen. Doch es gibt weiterreichende Impulse an unsere Phantasie,
Handwerk und Geschick werden getestet, Chancen ausgelotet, Alternativen
probiert und so wächst schließlich auch Handlungskompetenz.
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Das
Umweltthema war nie Hauptthema des etablierten Kunstmarkts. Vielfach legt Kunst
aber Pfade jenseits der Hauptstraßen, die aufzuspüren sind. Ihre Suche nach
anderen Maßstäben stellt gängige Welt- und Werbebilder in Frage, um unser Leben
nicht weiter auf Wachstumsziffern zu reduzieren. Als Wahrnehmungsschärfer,
Schule ganzheitlichen Denkens und Fühlens, sowie als naturverträgliche
Zukunftswerkstätte leisten einige Kunstrichtungen und engagierte
Künstler ihren zeitgemäßen Beitrag zu "tragfähigen Entwicklungen"
jenseits von Idyll und Katastrophe. Umweltkunst,
Naturkunst und ökologische
Kunst schließen vieles ein. Dazu zu rechnen sind beispielsweise:
·
ausgedehnte Aktionen (Allan KAPROWs Autoreifenhappening, 1961; Baldur GREINERs
Skulpturenverbrennung in einer Einkaufspassage, 1991)
·
das großzügige Landschaftsarrangement
(Michael HEIZERs "Isolated Mass/Circumflex No. 9, Nevada 1968";
James TURRELs "Roden Crater", seit 1977)
·
das andächtige Zellebrieren
vergänglicher Naturschönheit (Andy GOLDSWORTHY oder Bob VERSCHUREN)
·
künstlerische Darstellungsformen mit
Pflanzen (Herman de VRIES Ausstellungs- und Buchprojekt "natural relations", 1982ff.;
viele Aktionen und Sammlungen von Lili FISCHER wie Drehbuch "Kraut &
Zauber", "Kräuterbeutel für Kranke in Gesellschaft",
"Freiburger Schrein")
·
Kraft- und Meditationsfelder
(Timm ULRICHS´ "Steine in Wurfweite", 1977; Solveig BOLDUANs
"Gefesselte Steine", Altdöbern 1993)
·
der einfühlende Landschaftsentwurf
zwecks Renaturierung bzw. Rekultivierung (Helen & Newton HARRISONs
Bitterfelder Projekt "Muldeauen")
·
kritische Inszenierungen
der Industrieproduktkultur (Edward KIENHOLZ´ Junk-art
und Tableaux seit den 60er Jahren; Bernd
LÖBACH-HINWEISERs "Museum für Wegwerfkultur" in Weddel,
seit 1983)
·
grafische
Werke (Klaus STAECKs Umweltpostkarten seit den 70er Jahren; Jürgen
SCHIEFERDECKERs "Requiem für eine Landschaft", 1989)
·
plastische
Arbeiten und Environments (CÉSARs Autocompressionen,
1959ff.; Felix DROESEs "Horizont", 1990)
·
internationale Wettbewerbe
(slowakische Triennale "EkoPlagat",
seit 1978)
·
unzählige workshops
("Jahreszeiten" bei Winnekendonk/Niederrhein,
1985; "Natur-Kunst. Schutz-Zeichen" seit 1992 im Müritz-Nationalpark)
·
Ausstellungsfolgen
(etwa des Umweltbundesamtes Berlin seit 1985; Jürgen SCHWEINEBRADENs Serie
"Kunst & Ökologie", begonnen 1995 in Plüschow
und Plön)
·
Projekte
zwischen Kunst und Wissenschaft (das 1993 von Bea VOIGT in München
angeschobenen Vorhaben "Kunst-Kultur-Ökologie")
·
grüne Filmtage (seit 1984
internationale "ökomedia" in Freiburg;
Filmtage der GRÜNEN LIGA seit 1992 in Dresden)
·
das bundesweite Umwelt-Theater-Festival
(Bonner Wissenschaftsladen, seit 1994)
·
Förderpreise
für Umwelt- und Naturfotografie (z.B. des europäischen Handelsunternehmens
VEDES), Kunstpreise (AEG Kunstpreis Ökologie, seit 1988), Umwelt-Literaturpreise
(bspw. in Nordrhein-Westfalen oder Brandenburg)
·
Brodowiner
Gespräche (unter Reimar GILSENBACH, 1982-1989) und Jahrestagungen
umweltengagierter Schriftsteller Deutschlands (unter Lia PIRSKAWITZ; seit
1992)
·
Kunstdiskussionen
(3. Kunstgespräch Buchheim zu Kunst & Ökologie,
1987; Kunstsymposien Kultur und Ökologie, Wernigerode, 1993
·
Sachverständigenforen
(Tagung des Umweltministeriums Brandenburg, 1992; "Umwelt - Kultur -
Zukunft", Magdeburg, 1994)
·
künstlerisch beeinflusste Aktivitäten
von Kindern und Jugendlichen (Berliner Jugendgruppe "Kunst und
Natur" unter Gilbert WALIGORA; Umweltstempelversand Hof) und, und, und...
Nehmen wir an dieser Stelle eine These vorweg. Nach dem
informativ-agitatorischen Aufbruch Ende der 60er Jahre ist eindeutig
festzustellen, dass die umweltkünstlerischen Äußerungen immer mehr an formalem
und geistigem Format gewinnen, an internationalem Zuschnitt, sich auf
alternative Gestaltungsangebote und authentische Ursprünge besinnen, auch auf
ihre Herkunft aus geschichtlicher Vorzeit.
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Magie. In den dunklen Höhlen von
Altamira (Spanien), Lascaux oder der jüngst
entdeckten Grotte Chauvet (beide Frankreich) sind sie
zu bewundern: die gezeichneten, eingeritzten prähistorischen Produkte einer
kollektiven Technik, mit der der Stamm seine Wünsche bildhaft modelliert. Die Höhlenmalereien
sind sensorische, wirklichkeitsgetreue Gegenstandsbilder, die im magischen Akt
der Selbstvergewisserung und Lebensfürsorge dienen (Befriedigung von
Vitalbedürfnissen und Kommunikation - Georg KNEPLER). In der jüngeren Steinzeit
entwickelt sich das dualistische Denken, erfolgt die Trennung zwischen Subjekt
und Objekt, entsteht das menschliche Zweiweltensystem von Ich und Es,
Innen und Außen, wandelt sich die Magie zum Animismus (Geisterverehrung).
Im Totem-Kult werden Tiere oder Pflanzen als Schutzzeichen ausgewählt.
Der Mensch begreift seine Naturabhängigkeit und schafft bewusst Riten und
Kulthandlungen, die um gutes Wetter, Ernte usw. bitten oder den Weg der Toten
begleiten wollen. Anstelle des Abbilds steht das Sinnbild, die Zeichnungen
abstrahieren, spielen mit geometrischen Formen. Große Megalithbauten
entstehen wie Dolmen, Hünengräber, Steinkreise und Hügelgräber. Das
Rundheiligtum von Stonehenge in
Salisbury/England erinnert noch heute ehrfurchtsvoll an die Kulte unserer
Ahnen. Wen wundert es, wenn Werbung (Opel) an dieser magischen Faszination
teilhaben möchte? Kunst und Werbung nutzen die suggestive und auratische Kraft der Bilder, gegen die etwa biblisches
Bilderverbot, protestantische Bilderstürmerei oder neuzeitliche Bilderzensur
ankämpfen.
Viele Kulte
und Riten prägen im Mittelalter das Alltagsleben, werden per kirchlichem
Bußkatalog abgefragt und gesühnt. Unter der Oberfläche moderner Religionen und
im ländlichen Raum (von der Taufe über das Erntedankfest bis zur Totenfeier)
beeinflussen Magie und Animismus bis heute Kommunikationsmuster und Strukturen
sozialen Verhaltens, verknüpfen den einzelnen mit der Gemeinschaft und der
Natur. Sigmund FREUD unterscheidet vier Phasen aufsteigender Erkenntnis:
-Magie, -Animismus, -Religion und -Wissenschaft, wobei insbesondere der Kunst
eine Sonderrolle zukommt ("Totem und Tabu", 1913): "Mit Recht
spricht man vom Zauber der Kunst und vergleicht den Künstler mit einem
Zauberer. Aber dieser Vergleich ist vielleicht bedeutsamer, als er zu sein
beansprucht." Diese Ursprünge bleiben in Kunst lebendig.
Von Albrecht
ALTDORFERs heidnischer "Landschaft mit Satyrfamilie" (1507)
über John CONSTABLEs religiösen Naturalismus bis hin zu Franz RADZIWILLs
naturgewaltiger Technikkritik gibt es durchgängige Tendenzen, die
naturbeseelten Anschauungen verpflichtet sind.
Zu ihnen
gehört Joseph BEUYS, der die Kluft zwischen Materiellem und Spirituellem
überwindet und das gespaltene Denken in neuer Begrifflichkeit vereint (erweiterter
Kunstbegriff, Kunst als soziale Plastik, Wärmeskulptur, dritter Weg in Politik
und Wirtschaft). Der Mensch als Schöpfer soll evolutionär zusammendenken =
plastisch gestalten, denn Gestaltung in der Gesellschaft überhaupt brauche
plastisches Vermögen. Die Gleichsetzung von Kunst = Ökologie erfolgt, da beide
auf unsere plurale wie ganzheitliche Welt zielen. Das
Umdenken in der Kunst unterstützt BEUYS mit entsprechender Materialwahl (Filz,
Fett, Wachs) und Motivwahl (Tiere, Kreuz, Baum-Stein-Paare). Wiederholt agiert
er als Schamane, als Beschwörer, als Nomade. Werke wie "Das Rudel"
(1969) und "Sonnenkreuz" (1947/48) beleben bewusst den
Naturmythos.
Die Sonne als
die kosmische Kraft rücken uns Heutigen erst wieder die gefährliche
UV-Strahlung oder die Chancen der Solartechnik ins Bewusstsein. Der Sonnenkult,
überliefert in Gesängen des ägyptischen Königs ECHNATON (um 1350 v. Chr.) und
Franz von ASSISIs (um 1200), scheint vergessen. NILS-UDO steht mit seiner
anmutenden Naturkunst in dieser archaischen Tradition, wenn er eine ostwärtsgerichtete "Sonnenskulptur" (1979)
installiert oder in seinem bei München angelegtem "Tal der blauen
Blume" (1995/96) die Sonnenwenden in der Eingangspforte einfängt.
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Die Beispiele
lassen sich fortsetzen. Nehmen wir Steinsetzungen, Felstempel, Ruinenstätten,
Pyramidenkultur und Grenzsteine bis hin zu den Steinspuren der Land-art wie
Robert SMITHSONs "Spiral Jetty"
(1970) und Richard LONGs "Connemara Sculpture" (1971). Unter dem Motto "Erdwall
- Hünenstein" - lud ein deutsch-japanisches Symposium 1996 in das
Warnow-Durchbruchstal bei Groß Görnow/Groß Raden ein.
Vorgeschichtliche Bodendenkmale wurden in einen "archäologischen
Kunstpfad" aus Skulpturen, Objekten und Installationen einbezogen. Im
Kontakt mit Historikern wurden Wurzeln mitteleuropäischer Kultur aufgedeckt.
Die japanischen Künstler folgten der "Spur der Steine" aus Sicht
ihrer Yomon-Kultur (erste japanische
Ackerbauernkultur). Oder denken wir an mythische Bezüge bei Michael FLATAUs "Steinzeichen",
Reinhard GRAEFEs "Tabu" oder Klaus HEIDs "Lagerplatz"
(alle drei 1992 im Müritz-Nationalpark entstanden). Immer geht es darum, mit
Kunst Assoziationsfelder und transzendente Räume zu schaffen, die
dem einlinigen Logos entsagen und Bilder für das lebende Wunder Mutter Erde und
Vergänglichkeit prägen. Diese Kunst, deren Haus die unfassbare Natur ist,
versucht "...die Zukunft offen zu halten!" (Herbert GRUHL)
Denn wie wirbt, zwar mit anderer Absicht, der Toyota-Spot mit roten Brüllaffen:
"Nichts ist unmöööglich..."
Tiermotive. Unsere wenig betuchten
Vorfahren verehrten allerlei Getier als Totem und erwiesen der Natur ihren
Respekt. Die "zivilisierte" Menschheit kennt heute Tiere vorrangig
aus Filmen, vom Zoo, aus Werbung, von der häuslichen Speisekarte oder als teure
Delikatesse. Die Neuzeit hängt an anderen Fetischen, der Konsument echauffiert
sich beim Tanz um das goldene Kalb (vgl. 2. Buch Mose, 32.Kapitel).
Derweil
kommen die Tiere unter die Räder. Eine NABU-Anzeige (1992) fragt: "Natürliche
Auslese?" und rechnet auf, dass pro Jahr und Straßenkilometer in
Deutschland ein Igel überfahren wird. Der US-Amerikaner Roger M.KNUTSON gab
1993 als Biologe eine Art Tier-Bestimmungsbuch heraus, und zwar von
plattgefahrenen Tieren. Ob drei- oder zweidimensional -Tier(bilder)
begegnen uns, auch in der Kunstgeschichte, unentwegt.
Die
Tiersymbolik ist in allen Kulturen tief verankert und erschließt sich nur über
ihren magischen Ursprung. Bilder und Jagdzauber bannen die gefährlichen Tiere
und übertragen ihre Kraft oder andere Attribute auf den Menschen - beim Löwen
Stärke, Eleganz, majestätisches Aussehen.
Das Löwenmotiv
findet sich beispielsweise am Löwentor in Boghazkoy, in Mykene, auf Darstellungen wie "Assurnasipal auf Löwenjagd", am Ischtar-Tor und Löwenfries der Prozessionsstraße von
Babylon, auf byzantinischem Seidenstoff und im Krönungsmantel der deutschen
Kaiser. 1995 gedachte eine Braunschweiger Ausstellung des 800. Todestages von
Heinrich dem Löwen, Herzog von Sachsen und Bayern. Die Medienwelt von heute
kennt Löwen(Bilder) aus Tierfotografie und -filmen oder dem Walt DISNEY
Trickfilm "Der König der Löwen". Und aus der Werbung - siehe
Automarke "Peugeot" oder "Trink fix"-Kakaopulver.
Schon in der
Grundschule kann erfindungsreicher Unterricht mit interessanten Fragestellungen
aufmerksam machen auf Tiere, Nahrungsketten oder Artenschutz. Schüler können
Tiere und Tierverhalten zeichnen, modellieren, beschreiben. Tiere lassen sich
beobachten, belauschen, zählen. Geschichten können erzählt und nachgespielt
werden. Ratespiele sind möglich, später fotografische Aufgaben, Werbe- und
Filmanalysen, bis hin zum thematischen Kurzvideo in eigener Regie. Alles
künstlerische Exkurse in die Mensch-Tier-Geschichte...
In der
bildenden Kunst sind Tierfiguren und Jagdszenen weit verbreitet: auf
Höhlenzeichnungen, Reliquien, Grabbeigaben, Teppichen, als Waffenzierde,
Schilderungen von Jagd und Jagdherrschaften, monumentale Jagdstücke und
naturalistische Jagdstilleben. Sie demonstrieren vor allem eines: das Tier gilt
als Beute und Objekt, wie in zahllosen Tierbüchern, die die Fauna
abbilden und beschreiben. Zur Palette gehören ebenso Wildschutzmotive
etwa in der Düsseldorfer Malerei nach 1830 (C. W. HÜBNERs Karikatur "Das
Jagdrecht", 1848).
Immer
deutlicher zwingt der Mensch die Tiere in seine Abhängigkeit. Der "Tierbezwinger"
fordert die Kreaturen hinaus und wird seit dem 17. Jahrhundert im Motiv der "verkehrten
Welt" selbst von Tieren überwältigt. Michael SOWA sperrt die
rücksichtslosen Erdenbürger in einen Menschenpark ("homo sapiens",
ca.1992). Der Rollentausch ist nur künstlerische Fiktion. Denn seit langem
landen die Tiere in den Aquarien, Terrarien oder ausgestopft in Sammlungen der
botanischen Institute und Dioramen. In den Naturkundemuseen zum Schaustück
degradiert, künden sie vom "Abgesang auf die Natur" (ZEITmagazin Nr. 14/1994). Den Lobgesang auf eine heile
Tierwelt stimmt nur die Werbung an. Parallel dazu wächst die "Rote
Liste" der gefährdeten Arten (in Deutschland ein Viertel der 45.000
Tierarten). Dabei begann das Mensch-Tier-Verhältnis mit Angst, Distanz,
Achtung, Verehrung. Die gewohnte Hierarchie zwischen "toter" Natur,
Pflanze, Tier und Mensch durchbricht ein Franz von ASSISI, der alle Geschöpfe
gleichberechtigt behandelt und auf dessen Todestag am 4. Oktober (1226) der
jährliche Welttierschutztag fällt. Zu einem neuen Zusammengehörigkeitsgefühl
und Miteinander von Mensch und Tier kann Kunst partiell beitragen.
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Künstler
sensibilisieren für dieses andere Verhältnis zu den göttlichen Geschöpfen, im
20.Jahrhunderts beispielsweise die Bildhauer Philipp HARTH oder Ewald MATARÉ.
So wollen MATARÉs Tierplastiken im wahrsten Wortsinne wieder (be)greifbar werden, den Tastsinn von Blinden ansprechen,
während HARTH die widernatürliche Dressur und Haltung von Tieren gar verbal
kritisiert. In der Malerei beschreitet Franz MARC den Weg zur "Animalisierung des Kunstempfindens", versucht
seelische Naturkräfte zur dynamischen Anschauung zu bringen, u. a. mittels
durchlässiger Konturen und expressivem Gestus.
Direkt,
anklagend, ironisch, grotesk - auch so artikuliert sich umweltkünstlerisches
Engagement. Der Karikaturist Heinz BEHLING siedelt den "beliebten"
röhrenden Hirsch in eine "Große Landschaft mit Kippe"
(ca.1986). Der Grafiker Klaus STAECK verblüfft mit der Aussage "Der Borkenkäfer
Mensch ist der größte Forstschädling" (1984), oder STAECK sperrt
DÜRERs akribisch gezeichneten Hasen "Zum Welttierschutztag" (1987)
in ein Holzkorsett.
"Animal-art" betritt als neue Kunstströmung in den 70er Jahren die internationale
Bühne. Animal-art arbeitet mit leibhaftigen Tieren
und wendet sich vom toten Kunstwerk zum wirklichkeitsnahen Kunstprozess.
Ein dynamischer Vorgang, der die Auflösung evolutionärer Schöpfung in
gentechnische Informationspuzzle ins Bild rückt, einschließlich der
Vorgeschichte künstlicher Züchtungen. Realistisch inszeniert, mit totem und
lebendem Getier, schockierend mitunter - aber als artifizielles
Wahrnehmungsangebot und nicht als militante Tierschutzveranstaltung. So zeigt
die Grazer Ausstellung "ANIMAL ART" (1987) das Aufsteigen von
Brieftauben (Paul KOOS), eingesperrte Hühner in musealer Umgebung (Henning
CHRISTIANSEN), oder Fotos von einem tief gefrorenen Brathähnchen "Blinky, the friendly
hen" (Jefrey
VALLANCE).
BEUYS besaß
sein Leben lang ein inniges Verhältnis zu Tieren und Pflanzen, interessierte
sich naturwissenschaftlich und besann sich auf einfache Materialien und
Vorgänge. So einfach, so unnormal, so Aufsehen erregend wie bei der Aktion "I
like America and America likes
me" (New York, 1974). Vier Tage teilte er
sich einen Galerieraum mit einem wilden Kojoten, um sich aneinander zu
gewöhnen. Eingehüllt in Filz wird aus der Distanz naher Kontakt, findet eine
Versöhnung statt mit einem Tier, welches die Indianer göttlich verehren, die
Weißen als gemein gnadenlos jagen. Ein typisch beuys´sches
Gegenbild...
Einige
Ansätze, die ebenfalls ausgetretene Kunstpfade verlassen, reichen in die
praktische Umweltgestaltung und beziehen Tiere symbolisch oder faktisch ein.
Maria BUCHNER sät (1987) wilde Mohnblumensamen in Form einer Eidechse auf einem
Feld aus, schafft mit der rot leuchtenden Figur eine "nutzlose
Schönheit". Interessanter Nebeneffekt war für sie, dass Mitwirken der
Naturlaunen zu erfahren - etwa den Einfluss des Wetters und des Rehwilds auf Saat
und Wuchs des Mohns. Matto H. BARFUSS legt (1994 ff.)
mit "Kondor und Delphin" eine acht Kilometer lange Mischhecke
in Tierform zur Belebung des Lauchhammer Braunkohletagebaus an. Betty BEAUMONTs
"Ocean Landmark Project" (1978ff.)
errichtet aus industriellen Abprodukten ein neues
Meeresriff - ein Ökosystem für Wasserflora und -fauna
von Künstlerinnenhand in Kooperation mit Naturwissenschaftlern.
Jede
Landschaftsgestaltung ist ein Arrangement in und mit der Natur
und reflektiert über die Natur. Doch erst an der Schwelle zum
21.Jahrhundert bringt bildende Kunst neben vornehmlich optischen Gesichtspunkte
allmählich ökologische Aspekte ins Spiel. Sowohl die strenge französische als
auch die stimmungsreiche englische Gartenkunst folgen noch ganz anderen Programmen.
Gartenkunst. Gärten als künstlich
angelegte, umfriedete, bepflanzte und bewässerte Höfe, Landschaftsareale oder
groß angelegte Parks spiegeln ein ideelles (religiöses,
weltanschauliches) Programm. Anfangs war ihr magischer Reiz
allgegenwärtig und werden heilige Haine, Quellen und Bäume, Baumkult
sowie andere Riten sogar räumlich eingebunden.
Ihr Gebrauch
(als Paradies, Friedhof, Nutzgarten, Jagdrevier, Spiel-, Liebes-,
Repräsentations-, Erholungs- oder Freizeitstätte) variiert im Laufe der
Jahrhunderte. Erkennt man den Gärten eine untergeordnete biologische
Bedeutung zu, so koppelt sich das zumeist mit dem ökonomischen Nutzen
(Zucht von Nutz- oder Zierhölzern, Gewinn von Obst, Blumen und Kräutern). Die
Anlagen beziehen vorhandene Gegebenheiten (Bodenrelief, Wasserläufe, Gehölze)
ein und erfüllen eine minimale ökologische Aufgabe (Kleinklima, teils
Lebensraum für Flora und Fauna). Mit dieser Funktionsfülle wandeln,
mischen und akzentuieren sich je die künstlerisch-ästhetischen Vorgaben
(streng geometrische Kunstfigur oder landschaftsverbundene Naturform, statische
Ortsbeziehung oder dynamisches Bilderlebnis, offene oder geschlossene
Perspektive).
Gartenkunst
entwickelt sich seit Jahrhunderten also als ein praktisch-ästhetisches
Verhältnis zur Natur, allerdings ohne ökologische Absicht. "Natur als
Kunst", oder eben "Kunst als Natur" - dahinter stehen
unterscheidbare Intentionen, die von bloßer Schwärmerei, wohlgefälliger
Staffage bis zu ausgefeilten philosophischen Konzepten und handfester
Wirtschaftlichkeit reichen. Ökonomisches Denken spiegelt sich im Nutzgarten
(Obst...Kräuter), in physiokratischer nationalökonomischer Gesinnung (welche
die Bodenkultur als den entscheidenden Quell von Reichtum definiert), oder in
Überlegungen zu Aufwand und Kosten der Gartengestaltung.
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Die
wechselreiche Strecke, mal geradlinig, mal labyrinthisch, mal verschlungen,
gleicht den gärtnerischen Wegen und führt Ende des 18.Jahrhunderts zum
englischen Landschaftsgarten. Entscheidende Impulse geben Lancelot BROWN
("Darstellung der Idee des Natürlichen") und Humphrey REPTON
("Park soll Natur sein").
In
Deutschland liefern Johann Georg SULZER und Christian Cay Lorenz HIRSCHFELD den
theoretischen Hintergrund. Hier entsteht der erste englische Landschaftsgarten
entsteht ab 1770 in Wörlitz nach Plänen von Johann Friedrich EYSERBECK. Wer
durch die Wörlitzer Naturkulissen wandelt und den Pfaden folgt, stößt
irgendwann auf den Warnaltar von 1800, dessen mahnenden Text Manfred BUTZMANN
mittels Steinabrieb (Frottage, 1990) als Plakat und Programm vertreibt: "Wanderer
achte Natur und Kunst und schone ihre Werke." Eine demütige Geste.
Selbst die
zwei Löwen, die die Freitreppe des Gartenschlosses Muskau
als überkommene Machtsymbole schmücken, lassen sich als Verbeugung vor den
Naturkräften lesen. Der schwärmerischen "Idee des Natürlichen"
verpflichtet, schafft Herman Fürst von PÜCKLER mit seinem Muskauer
Garten ein beeindruckendes Gesamtkunstwerk mit tendenziell demokratischem
Programm. Die gute Absicht dieser Gärten sei nicht verurteilt, ...und ihr
preußisch kurzgeschorener Rasen nicht übersehen!
Dem
historischen Widerspruch etwa zwischen Dessauer Gartenreich und nahen Natur
belassenen Elbauen, also zwischen Kunst und Natur,
gibt Immanuel KANT in seiner "Kritik der Urteilskraft" (1790)
theoretische Gestalt. Dort lobt er den englischen
Garten, der zwanghafte Regelmäßigkeit vermeidet und das freie interesselose
Spiel der Vorstellungen erlaubt. Doch diese menschliche Kunstwelt erreicht
nicht die "Mannigfaltigkeiten bis zur
Üppigkeit verschwenderische Natur, die keinem Zwang künstlicher Regeln
unterworfen ist" (Stuttgart: Reclam 1986, S.131ff.). KANT setzt die
Naturteleologie (objektive Zweckmäßigkeit) vor die ästhetische
Zweckmäßigkeit (subjektives formales Wohlgefallen). Er begründet, dass
die Empfänglichkeit des Naturerhabenen (wilde Größe) mehr Kultur
(Verstand überschreitende Vernunft) erfordere, als der Gefallen am Naturschönen,
welches aber wiederum der Kunstschönheit vorzuziehen sei (ebenda, S.224).
Das
"natürlich Kunstschöne" hat bis heute die meisten Fürsprecher. Ohne
die englischen Landschaftsparks wäre unsere Kulturlandschaft zweifellos ärmer.
Friedrich Ludwig von SCKELL gestaltet den englischen Park in München/Isarauen,
Peter Joseph LENNE entwirft auf der über 100 km2 Potsdamer Insel für viele
Parkgruppen und plant eine vernetzte großräumige Landschaftsarchitektur, die
allerdings unvollendet blieb. An deren Stelle wachsen heute andere "Parks",
von Autoparks, über Erlebnisparks bis hin zum Lenné-Park,
einem künftigen Potsdamer Einkaufszentrum...
Schon die
landschaftsgestaltende Bewegung des späten 18. und des 19.Jahrhunderts
beeinflusst immer stärker urbane (Infra)Strukturen.
Die durch Industriewachstum und Bevölkerungszunahme unwirtlicher werdenden
Städte erzeugen zusätzlich Bedürfnisse nach innerstädtischem Grün. Volks-
und Stadtparks gewinnen an Bedeutung und seit 1900 entstehen die so
genannten Gartenstädte als durch Grünkosmetik aufgelockerte
Stadttrabanten. Zu Beginn des 20.Jahrhunderts triumphiert das Pathos
funktionaler Sachlichkeit und zweckbestimmter Räume. Bis heute stehen die
wirtschaftlichen und kommunalen Egoismen oft quer zu naturschützerischen
Erwägungen.
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Kunsttheorie
und Ästhetik preisen noch immer das Ideal des englischen
Gartens, obgleich Landschaftsplanung zur naturnahen Gestaltung übergeht, die
auf Natur belassene Selbstorganisation setzt, Wildnis zulässt, Streuobstwiesen
nicht ausspart und Biotope anlegt. Es gibt Untersuchungen, nach denen die
Savanne (mit ihren Säumen, Baumgruppen und überschaubarem Flachland) die
menschlichen Wahrnehmungen am meisten anspricht. Das träfe analog auf den englischen Garten zu, denunziert aber andere (natürliche)
Gestaltungsformen. Behält der englische Garten zwar eine Berechtigung, so
bricht Landschaftsplanung doch zu anderen Ufern auf. Der englische Garten
fungiert zumindest als Bindeglied zwischen französischem Garten und Naturbelassenheit. Oder anders gesagt, er vermittelt
zwischen den "Leuten, die Geometrie lieben, und den Leuten, die Bäume
lieben".
Bäume. Bäume kennen wir als
- Naturwesen
(Photosynthese, Biotop, Luft-, Wasser-, Boden-, Lärm- und Staubfilter),
- als Wirtschaftsfaktor
(Brennstoff, Nutzholz, nachwachsender Rohstoff, Früchte)
- und als
uraltes Kultursymbol. Stamm, Äste, Blattwerk, Krone und Spitze sind als
Bilder tief in unserer Sprache verwurzelt. Bäume verbinden (Synthese)
Himmel, Wasser und Erde, öffnen den Zugang zur Sonne. Der Baum (Weltenzentrum)
reicht in Höhe und Tiefe, in Wasser, Boden und Luft. Seine Ringe (Jahresuhr)
messen die begrenzte Zeit, seine Äste sind in die Ewigkeit gestreckt. Bäume (weibliches
Prinzip) symbolisieren ebenso die beschützende und tragende Mutter, den
Nährboden und das fruchtbringende Wasser.
Bäume sind
für viele der Inbegriff von Natur bzw. Naturrest. Breiter Bürgerprotest
formiert sich zuallererst bei bedrohten Bäume in unmittelbarer Nachbarschaft.
Nicht von ungefähr argumentiert man in der Umweltbewegung so häufig mit der
bildlichen Redewendung "säge nicht am Ast, auf dem du sitzt".
Abb. Baum-Kreuz © K.-J. LEBUS, 1996
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Lebensbaum |
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Baum der Erkenntnis |
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immergrüne Baum |
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Tugendbaum |
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Jahresringe |
Baum des Lichts |
Wasser + Sonne |
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singende Baum |
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Jahresbaum |
Baumsymbolik |
Weltenbaum |
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Marterpfahl |
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Jahreszeiten |
Opferbaum |
Erde + Himmel |
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Laster-/Sündenbaum |
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(Holz)Sarg |
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(Holz)Kreuz |
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Totenbaum |
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Bäume
besitzen in allen Kulturen ungeheure Symbolkraft, die tief in der
(Natur)Geschichte gründet. Ihre Magie wirkt nicht nur bei den Naturvölkern und
Indianern, auch in der industriellen Zivilisation ist der Baum mit seinen guten
und schlechten Früchten als mythisches und religiöses Urmotiv
unvergessen, umwoben von Hexenspuk und Zaubersagen, von Märchen und
Geschichten. Mit der Darstellung von Land und Wäldern nimmt die mittelalterliche
Landschaftsmalerei ihren Ausgang.
Erst
allmählich rücken Bäume aus den Hintergrund bereits gelichteter Landschaft,
werden identifizierbar und begleiten den Menschen durch die Jahreszeiten (siehe
"Stundenbuch des Herzogs von BERRY", um 1416). Gemalt werden
kosmischer Atem und kurzes Menschenleben, Werden und Vergehen (Jan van GOYEN "Landschaft
mit zwei Eichen", 1641). Andere Bilder sehnen sich nach Harmonie und
Gleichgewicht (Philipp Otto RUNGE "Quelle und Dichter", 1805)
oder erzählen von existentieller Furcht und menschlicher Kurzsicht
(Charles-Francois DAUBIGNY "Der Holzfäller", 1850).
Unablässig
nähern sich die Landschaftsmaler der Natur, und erfahren die Distanz zu ihr.
Künstler dokumentieren dabei den Fortgang zivilisatorischer Eingriffe,
die das Industriezeitalter erst so richtig perfektioniert. Zahllose Bilder
liefern davon Zeugnisse... Und Künstler erfinden immer Natur(ideale).
Deutsche Romantiker übertragen ihre Naturachtung auf die aufrechten
Forstreviere und prägen anhaltend die Vorstellungen von harmonischer
Landschaft. Wie unromantisch die "Verfichtung"
zu Zeiten Caspar David FRIEDRICHs dagegen war (vgl. etwa "Der
Abend", 1820) und den erfolgten Übergang von extensiver zur intensiven
Bewirtschaftung anzeigt - eben den Sieg schnellen forstlichen Holzgewinns über
landespflegerische Naturschonung -, erklärt beispielsweise der Ökologe Henry
MAKOWSKI.
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Ein altes
Sprichwort lautet, "zuerst stirbt der Baum, dann stirbt der Mensch."
Schon im Gilgamesch-Epos (2000 v.Chr.) müssen Bäume und Wälder sterben. Erinnern
wir uns, dass zu Christi´ Geburt ein Viertel deutschen Waldes bereits gerodet
ist, oder an den Holzmangel um 1300 und 1700. Den frühen Baumfreveln folgen
erste Forsterlässe ("Weistümer" um 1300) und geregelte
Forstwirtschaft (nach 1500). Bilder berichten, welche tief greifenden Spuren
Holzschlag und Raubbau hinterlassen. Den kultivierenden Ausgleich unternehmen
Forsten, Baumschulen und Landschaftsgärtner. Beides aber wirkt lange nach, strukturiert
Landschaften. Wie unmittelbar die menschliche Hand zum Würgegriff für
einen Baum werden kann, demonstriert die von Timm ULRICHS geschaffene eiserne
Handskulptur, die die Wurzel einer wirklichen Linde umklammert und (bislang)
nur einen kümmerlichen Wuchs gestattet.
Das
beziehungsreiche Baummotiv steht heute stellvertretend für den
natürlichen Lebensraum, ja für (Über)Leben schlechthin. Großflächige
Chemotherapie, giftige Warenreste und Verkehrswahn schenken der Gegenwart kahle
Landschaften. Die Bäume sind entlaubt, entwurzelt, entseelt. Romantische Weite
reduziert sich auf bedrückende Leere (Matthias KOEPPEL "Sport",
1972) und Waldesdickicht ist gespickt mit atomaren und militärischen Waffen
(Ursula MATTHEUER-NEUSTÄDT "Der schöne deutsche Wald", 1980).
Der Baum des Lebens wird in NILS-UDOs Installation zum unheimlichen "Todesfloß"
(1985).
Die
BUND-Ausstellung "Künstler sehen unsere Umwelt" (Freiburg,
1984) wählte von 180 Künstlern mit 1000 Einsendungen 77 Künstler mit 150
Arbeiten aus, die als symptomatisch gelten müssen. Metaphorische und
symbolische Darstellungen kennzeichnen erstens den eingeschlagenen
Wirtschaftsweg als Sackgasse, zweitens stellen sie Verbots- und
Achtungsschilder auf, und drittens dominieren als Motiv und Thema eindeutig
Baum und Wald. Hoffnungen und Visionen sind nur mariginal
("Der Horizont ist grün"). Die Mehrzahl alarmiert, klagt an, schreit
auf. Anstelle der Abbildungen schauen wir auf nur auf einige Titel:
"Grabmal für Leonardo", "Erst stirbt der Wald...",
"Waldsterben", "Nature morte",
"Über allen Gipfeln ist Ruh", "Vom Baum zum Kantholz",
"Der tote Wald", "Der letzte Wald",
"Waldesfrust", "Sterbender Wald", "Grüne Höhe, warst
gewesen"...Das Waldsterben ist in den 80er Jahren in aller Munde, seit den
90er werden zumindest die "Waldzustandsberichte" besser. Positives
Denken sollte aber Realitäten nicht ignorieren.
Ob
mittelalterlicher Kahlschlag, Abbrennen von Regenwäldern oder Rodungen in
Obstbaugegenden mit EG-Ausgleichszahlungen - das ökologische Desaster paart
sich mit sozialen Entwurzelungen. Land und Leute
tragen und sehen schwarz. Das signalisieren auch in manchen deutschen Gegenden köpflings eingegrabene Obstbäume.
Die
Kunstgeschichte kennt das Motiv des "verkehrten Baums" seit langem.
Ein jüngstes Beispiel ist die "Stoph Corner" (Waren, 1995) des
Dänen Mikael HANSEN - eine Anspielung auf die politische "Wende" in
Ostdeutschland. Der umgedrehte Eichenstamm steht, fast unauffällig, an der
Zufahrtsstraße zum Jagdgebiet des DDR-Politbürooberen Stoph.
1985
installierte Herman PRIGANN in Wien das 23,50 m hohe Objekt "Hanging Tree", dessen
Wurzeln an eine geflochtene Dornenkrone erinnern können, während das untere
Ende mit scharfer Spitze über einem (Faden)Kreuz am Erdboden pendelt.
In Brasilien
entstehen bizarre, rudimentäre Baumskulpturen von Frans KRAJCBERG, die an
Totempfähle gemahnen - Ausdruck eines "fundamentalen Naturalismus"
mit "spürbaren Informationen über die Natur".
Viele dieser
Naturinstallationen sind immer auch Metaphern für die Entsprechung von
ökologischer und kultureller Krise. Baumdarstellungen und -installationen
fungieren zweifellos oft als Merk-Zeichen, Warn-Bilder oder Gegen-Bilder,
verbleiben aber traditionell auf der Reflexionsebene. Etliche Künstler
inszenieren darüber hinaus alternative Vor-Bilder einer ökologischen Wende.
Nehmen wir
Joseph BEUYS mit der bekannten Pflanzaktion "7000 Eichen"
(Kassel, 1982-1987). Er betrachtet diesen künstlerisch-ökologischen Akt als
Transformation vom Kranken zum Heilen. Das integrative und ganzheitliche
Vermögen von Kunst könne die Gesellschaft revolutionieren und neue
Wirtschaftsgesetze formen. Zumindest brachte BEUYS mit der "Stadtverwaldung"
anregende Unruhe in die Stadtverwaltung und überantwortete ihr - mehr auf
Verderb als Gedeih, wie böse Zungen behaupten - nicht nur die Bäume, sondern
lud ihr mit den zugehörigen Basalten noch weiteren metaphysischen Ballast auf.
BEUYS erblickte darin geeignete "Ideenbilder" für die
Schönheit, Gefährdung und ökologische Gestaltung unseres Lebensraums. Voll
entfalten kann sich diese Langzeitskulptur erst im Laufe der Jahrzehnte.
Dieserart
verüben Künstler naturverbundene Anschläge auf Bewusstseins-und
Stadtlandschaften. Ihr symbolischer Kunstansatz führt über ein kreatives
und kooperatives Miteinander zu wirklichen Begrünungen, steigert die individuelle
Reflexion zur öffentlichen Aktion.
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"Green
Piece" heißt ein Kunststück von Bodo BERHEIDE, der in Wuppertal eine
Anpflanzung einheimischer Bäume, Sträucher und Kräuter begann (1989). Das
Einmischen in die Stadtplanung mobilisierte Einwohner und Ämter. "Green
Piece" wirbt mit der Begrünung des sieben Kilometer lang gezogene
Mittelstreifens entlang der B 7 als soziale Aktion für mehr Lebensqualität,
trotz des stiefmütterlichen Eingeklemmtseins des
grünen Bandes.
Als Lebens-Zeichen
versteht sich auch die bürgernahe Aktion von Klaus STAECK "Bäume für
Bitterfeld" (1990) oder das "Baumkreuz" aus 140
Eschen und Linden am ehemaligen Grenzübergang Ifta/Rittershausen
von Walter DAHN, DROESE, HEINRICHS, STÜTTGEN, u. a. (1990), das mehr als
nur der Anfang einer Baumallee zwischen Kassel und Erfurt sein will.
Der Baumpate Ben WARGIN hatte nicht nur den Einfall zur "Weltbaumgalerie",
einer Bilder- und Spruchreihe an der S-Bahnstation Berlin Savigny-Platz,
zu der Künstler wie ANATOL, BEUYS, DRESSLER, GRASS und JANSSEN beitrugen.
WARGIN tritt vielerorts als Pionier von Pflanzaktionen auf. "Der Baum
bist Du" heißt einer seiner einprägsamen Sprüche, die den Umgang mit
der Pflanzenwelt in Relation bringen zum Umgang mit uns selbst. 1991 startet
WARGIN das interdisziplinäre Kunstunternehmen "Baumpaten gesucht für
das Wassermuseum der Lausitz". Dort geht es um Zusammenhänge von
150jähriger Bergbaugeschichte und trockengelegter Niederlausitz, von deren
"überflüssigem" Wasser die Spree und Berlin profitieren.
Rekultivieren, Bewässern, Beleben dieser abgewürgten Landschaft greift also in
große Naturkreisläufe. Was ist machbar, was ist vertretbar? Fragen und Anstöße
will das "Wassermuseum Gräbendorf" geben
als ein "Ort, wo wir sehen können, wie es einmal war, seine Urkraft
begreifen und seine Bedeutung erahnen."(Ben WARGIN)
Von Recherchen
im Böhmerwald gelangt Betty BEAUMONT innerhalb der Münchener Vorhaben "Kunst-Kultur-Ökologie"
zu dem ästhetisch-ökologischen Forschungsprojekt "Bohemian
Forest". Sie thematisiert Waldzustand,
Energieumgang und Infrastruktur im Dreiländereck zwischen Tschechien (lebender
Urwald), Deutschland und Österreich (öder Restwald)
und zielt auf naturnahen Wald und alternative Energieversorgung.
Wohlgemerkt -
es handelt sich um Kunstaktionen, die allesamt Natur einfühlende
Gestaltungsangebote unterbreiten, keine seelenlosen Wirtschaftsplanungen.
BEUYS, WARGIN oder BEAUMONT bauen anstelle des "humanen"
(menschbezogenen) Nutzdenkens eine spirituelle Beziehung zur Natur auf.
Im Sinne von Rupert SHELDRAKE könnte man das als "Resakralisierung
der Natur" bezeichnen. Was herauskommt, sind machbare Lösungsansätze.
Nach
Lösungsstrategien sucht, abseits der Kunst, aber mit hoher Sensibilität, auch
der Karlsruher Physiker Claus MATTHECK. Vom Naturdesign der Bäume lernt er die
biologische Selbstoptimierung (Wachstumsgesetz konstanter Spannung), überträgt
sie auf mechanische Bauteile, wodurch sich die Stabilität zigfach
erhöht und das Gewicht deutlich sinkt. Im Dialog mit solcher Wissenschaft
schärfen Künstler das Bewusstsein für natürliches Maß und ökologisches
Wirtschaften. Die trockene Bemerkung von Politikern, einen Baum pflanzen könne
z.B. das Grünflächenamt viel besser, geht an den kommunikativen Kunstprozessen
vorbei und beschönigt die Wirklichkeit. Fakt ist nämlich, dass Ökologie und
Kultur zu den "freiwilligen" Aufgaben der Kommunen zählen und kurz
gehalten werden. Weitsichtige Zeitgenossen hingegen sehen darin Hauptaufgaben.
Mit ihren öffentlichen Begrünungen, Pflanzungen und Aufforstungen geben
Künstler der Erde Leben zurück und befinden sich auf dem Weg, den man seit Rio
1992 "nachhaltiges Wirtschaften" nennt.
BEUYS
Kunstangriffe auf Wirtschaftswunder und Wirtschaftswerte oder WARGINs lauthalse
Attacken gegen die zukunftsblinde Marktmentalität treffen sich ja in einem
Punkt: das sie den Menschen aus dem Zentrum herausnehmen und das pulsierende Erdganze im Blick haben, dem wir weder mit technischem
Gerät noch Geldkapital entkommen können.
Globusmotiv
und weltweiter Aktionsradius. Misstrauen wir also den Versprechungen von Sparbüchern und lernen
lieber von alten Legenden. Dem phrygischen König Midas verwandelt sich
wunschgemäß alles zu Gold, was er berührt, selbst Speis und Trank. Biblische
Motive wie die Büchse der Pandora, die Arche Noahs
und die Sintflut strafen Habgier, Machtwahn und Herrschsucht mit Gottes
Gericht. Antike Figuren wie Ikarus, Laokoon und Prometheus mahnen
zur Achtung der Natur, warnen vor maßlosen Wünschen. Während aber bei Pieter
BRUEGEL d. Ä. der stürzende Ikarus (1558) noch vor individueller
Naturüberhebung warnt, wird Ikarus Sturz bei Wolfgang MATTHEUER (1979ff.) zum
charakteristischen Fall. In Skulptur, Malerei und Grafik alles wohlvertraute
Motive, die ihr religiöses Gewand ablegen und als weltliche Symbole die uralte
Sorge um die Erde, unsere Allzeugerin und Allnäherin,
belegen.
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Das Erdmotiv indes ist relativ neu und begleitet das
globale Denken. Es treibt die Kopernikanische Revolution weiter, denn erst die
ökologische Perspektive verabschiedet die Weltbilder von PROTAGORAS (der Mensch
als Maßstab aller Dinge) und PTOLEMÄUS (Erde ist Mittelpunkt) endgültig. Mit
den Weltkriegen, mit Weltraumforschung und Satellitenbildern seit den 50er
Jahren wird die Globalisierung als weltweite Gefahrenakkumulation
bewusster. Beteiligt an der Korrektur des anthropozentrischen Welt-Bildes ist
James LOVELOCK mit seinem Buch "Gaia. A new look at
life on Earth" (1979). Die Gaia-These, nach der die Erde einen sich selbst
regulierenden lebenden Organismus bildet, inspiriert etliche Künstler. Auch den
Slogan der Umweltbewegung "global denken, lokal handeln" nimmt die
Kunst auf und viele andere geistige Anregungen (Club of
Rome, Brundtland-Bericht, ...).
Im formalen
Umgang mit dem Erdglobus werden alle Materialien und Gestaltungsmittel genutzt
(nach Malerei und Grafik spielen Skulptur und Aktion eine größere Rolle), auch
inhaltlich und organisatorisch sind einige Kunsttendenzen erkennbar:
- In den
50er/60er Jahren registriert Kunst die technikgläubige Ab-Lösung vom
blauen Planeten, schleudert den Mensch ins Weltenall (Rudolf HAUSSNER "Laokoon
in der Umlaufbahn", 1969).
- Noch vor
LOVELOCKs Gaia-These artikuliert sich eine neue Sicht
auf die Erde als Lebewesen und natürliches Kunstwerk zwar originell,
doch in traditionellen Bildformen (siehe Piero MANZONIs magische Plastik "Sockel
der Welt", 1961; Joseph BEUYS Postkarte "Die Wärmezeitmaschine
in der Ökonomie", 1975).
- In den
70/80er Jahren spiegelt bildende Kunst angesichts der Atombombe die Angst vor plötzlicher
Vernichtung und Ent-Grenzung der
Systemkonflikte (Gerda DASSING "the last photo", 1982).
- In
Korrespondenz dazu gewinnen mit dem Globusmotiv Umweltaspekte an Bedeutung,
verschieben sich Bildbezüge auf die schleichende Ökokrise
(Klaus STAECK "Die Luft gehört allen", 1973) und faktische Auf-Lösung
(Horst HAITZINGER "Saures Bäumchen", 1982) natürlicher
Kreisläufe.
- Der Globus
ist das verbreiteste umweltkritische
Kunstmotiv überhaupt und wird in Malerei und Grafik (Karikatur) als
direktes Symbol zitiert: Die Erdkugel wird als Speiseeis gelutscht (Gerold
PAULUS), in Scheiben geschnitten (Gunnar RIEMELT), mit Büchsenverschluss
versehen (Stephen JACOB), mit Betonbahnen eingewickelt (Paul PRIBBERNOW),
verhüllt (CHRISTO), vom Umtausch ausgeschlossen (Joseph W.HUBER), verpackt,
verkauft, seziert, leergezapft, ausgehöhlt, aus- und zusammengepresst,
durchlöchert, betoniert, radioaktiv verseucht, übervölkert, vollgemüllt
und weggeworfen.
- Erdskulpturen
entstehen aus Geäst (Mo EDOGA, 1992); als schrumplige
Papp- und Papierkugel (Thomas VIRNICH, 1992); aus Schulgloben mir Darstellungen
der weltweiten Verteilung von Ressourcen, Niederschlägen, Waffen, Fernsehern,
Kernkraftwerken, ...(Ingo GÜNTHER, 1989); werden aus Stahl, Stein, Holz,
Lumpen, Müll fabriziert.
- Mutter Erde
ist als Bezugsgröße von Aktionen präsent. Bodo BERHEIDEs
6-Tonnen-Hufeisen "figura magica"
(1989ff.), die auf ihrer Weltenreise nach Wuppertal, Dublin und Montreal 1996
in Bethany Zwischenstation macht, soll magisch und magnetisch aufgeladen werden
und huldigt die Erde als das größte Kunstwerk. Ein symbolischer Akt, der Erdriten, keltische Tänze oder indianische Rituale belebt
und einbindet.
- Weltweit
gründen sich Künstlernetzwerke wie Artists for Nature (AfN, 1989, bis 1996
noch United Artist for Nature/AUN). Der internationalen
Umweltinitiative gehören namhafte Mitglieder und Förderer an wie Elvira BACH,
Alfred BIOLEK, CHRISTO, Joe COCKER, Bryan FERRY, Friedensreich HUNDERTWASSER,
Roy LICHTENSTEIN, LORIOT, Robert LONGO, Uwe OCHSENKNECHT, Nam June PAIK,
Jennifer RUSH, Antonio TAPIES, Tomi UNGERER und Peter USTINOV. Sie unterstützt
ökologische Projekte und Bürgerinitiativen in aller Welt und organisierte
u. a. Aktionen, Konzerte, TV-Spots, Ausstellungen, Preise. So kreierte AfN die Hymne "Yes we can" (1989),
überreicht zum Weltumweltgipfel in Rio (1992) die einmalige globale
Kunstedition "COLUMBUS - In search of a new tomorrow"
(mit circa 100 Beiträgen von 30 Künstlern) als internationale Künstlerbotschaft
für eine notwendige ökologische Wende oder brachte die Bonner Ausstellung
"natur?" (1996) auf den Weg.
- Auch andere
Aktionen, Projekte, Ausstellungen agieren grenzenlos, umfassen die Erde,
reisen durch die Erdteile. Beim Weltkünstlerworkshop "Arte Amazonas"
(Brasilien, 1992) arbeiten 20 Künstler zum Thema Amazonas und Umwelt, gefördert
vom Goethe-Institut. Zum Thema Okzident - Orient - Afrika startet (1991) die "Kunstkarawane"
in Deutschland als internationaler Kunstdialog.
- Immer mehr
Ausstellungen wie "Klima global" (1992) oder "Erdsicht - Global
Change"(1995) stellen sich inhaltlich dem globalen Thema.
- Das drückt
sich in den genannten Ausstellungs- wie in Buchtiteln aus,
beispielsweise in den Karikaturenbänden "Globetrottel"
(1989) und "Weltsch(m)erz" (1992) von Horst
HAITZINGER.
- Das Erdmotiv ermöglicht globalästhetisches Wahrnehmen
und Nachdenken, macht abstrakte Begriffe (Erde, Umweltkrise, Klimakatastrophe,
Ozonloch, Überbevölkerung) anschaulich.
Es zeigt,
dass soziale Schieflage und kranker Naturhaushalt zusammenhängen. Während in
Plastik und Malerei einst Atlas oder Herkules das Himmelsgewölbe tragen, sind
die Lasten heute anders verteilt (W. MANDZELL "Der Süden trägt den
Norden", 1990). Die möglichen Veränderungen verlangen nicht nur
kritisches Umweltbewusstsein, sondern sozialökologische Handlungskompetenz.
Kunst mit ihrem Sensibilisierungspotential leistet hier entscheidende
Vermittlung. Bewusst aufgegriffen werden Umweltprobleme aber erst seit Ende der
60er Jahre.
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Umweltkunst
seit den 60er Jahren. Die Prämissen bildender Kunst haben sich mit dem Erdantlitz
geändert. Jahrhundertelang fordert das Landschaftsideal: male stimmig und
schön. Egal welche der polaren Grundauffassungen dahinter steht, ob Nachahmung
oder Erfindung der Natur. Für DÜRER ist bei seinen detaillreichen
Naturbeobachtungen beides wichtig, einerseits die Kunst aus der Natur
"herauszureißen", andererseits "inwendig voller Figur" zu
sein. Nur dieser Wirklichkeitssinn erklärt, dass bildende Kunst als
Indiz anhaltender Naturvergewaltigung taugt, während jener Formsinn
oft die Notzucht versteckt - dem Naturfrevel gar Vorschub leistet. Die Moderne
gibt genügend Lehrbeispiele wie Artistik, Autonomie und Abstraktion den
Modenwechsel anheizen. Zu lange stemmt sich der Mensch gegen die Natur. Nach
der unwissenden Einbindung in das natürliche Umfeld folgt die allwissende
Überhebung. Die notwendige Wende zum wissenden Einfügen und zur
Naturpartnerschaft eröffnen im ausgehenden 20. Jahrhundert umsichtige bis
rücksichtslose Grenzgänge von Künstlern...
Die
aufkommende umweltkritische Kunst
Ende der 60er Jahre reagiert lautstark auf die aufbrechenden Wirtschaftswunden,
auf Vermüllung und Vergiftungen der Lebensräume. Sie
entsteht keineswegs als eindeutige Strömung, sondern eher als ein thematischer
Bezugspunkt, aus individueller Betroffenheit und gesellschaftlichem
Engagement. Die Kehrseiten des Wirtschaftswunders stiften Nachdenklichkeit,
Rachel CARSONs "Der stumme Frühling" (1963) erschüttert das
lesende Publikum, unliebsame Fakten kratzen am schönen Schein der heilen
Konsumwelt. Erkenntnisse ökologischer Wissenschaft, philosophische
Diskussionen, Informationsästhetik und visuelle Soziologie wecken kritischen
Zeitgeist.
Für ein
Hinwenden von Kunst zum Alltag und Lebensqualität sorgt auch der Leerlauf des
Kunstmarkts. Belebend wirken DUCHAMPS "ready mades" und SCHWITTERs "Merz-Kunst",
die ironischen Verheißungen der Pop-art, die eine neue Aura beschwörende
Land-art, der magische, materiale bzw. neue Realismus (ARMAN,
CÉSAR, Daniel SPOERRI, Jean TINGUELY), die elementaren Materialien der
italienische Arte povera und die Junk-art (Edward KIENHOLZ). Beeinflusst wird die
alternativ-politisierte Umweltkunst von happenings, Fluxus-/Konzeptkunst (Allan
KAPROW, Nam Jun PAIK, Wolf VOSTELL). Accumulationen,
Assemblagen, Installationen und Objekte eröffnen - auch dem Thema Umwelt - neue
Ausdrucksmöglichkeiten.
Thema Nummer
eins ist Ende der 60er bis in die 70er Jahre zunächst der Müll.
Außenseiter wie HA SCHULT schieben den Müll in öffentliche Straßen und ins
Bewusstsein ("Situation Schackstraße",
1969; "Markusplatz Venedig", 1976).
Umweltkunst
entfaltet sich nicht in erster Linie mit neuen Materialien
(Materialrealismus mit Müll, Abfall, Luxusartikeln, Verpackungen,
Naturstoffen), Motiven (Auto, Atom, Ozon, Mensch-Tier-Pflanze) oder Themen
(Umweltverheerung, Ressourcenknappheit, Umweltgifte). Vielmehr geht es darum,
das Vergessene, Übersehene, Unsichtbare sichtbar zu machen. Die visuelle
Organisation will kritischer Kommentar sein, basiert auf einer Wirkungsästhetik,
Bewusstheit soll induziert und Handlungen initiiert werden.
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Künstler wie
ALBRECHT/d., Otto DRESSLER, Bernd LÖBACH-HINWEISER, Aloys OHLMANN oder Timm
ULRICHS provozieren mit Collagen, Environments, Verfremdungen und Aktionen auch
umweltkritische Bezüge unterschiedlichster Art. Verlagsgründungen begünstigen
Publizität jenseits vom Kunstmarkt, Netzwerke werden installiert und Museen
begründet.
Am Anfang
stehen dokumentarische Spurensicherung und plakative Inszenierung. Schnell
gewinnen die Entwürfe an Qualität und überzeugen auch durch kleine Gesten. Der
aufklärerische anklagende Impetus wird zugunsten dialogischen Charakters
abgelegt, mögliche Allianzen und Alternativen rücken ins Blickfeld. Kunst lotet
Elemente und Energieströme aus und wirft Fragen des (künstlerischen) Recycling,
der Begrünung und der Landschaftsgestaltung auf. In den 90er Jahren werden
Wahrnehmungsprozesse akzentuiert.
Selbstbewusste
Kunstprogramme, von unterschiedlicher Herkunft, verkünden: "Die Kunst
der 70er Jahre findet nicht im Saale statt" (STAECK, 1974); "Hiermit
trete ich aus der Kunst aus" (BEUYS, 1984); "Kunst ist, aus
dem Überfluss bescheiden auszuwählen" (LÖBACH-HINWEISER, 1987); "...Wir
wollen soweit kommen, dass die Kunstwissenschaftler sich die Haare raufen und
dem Kunstfreund der Atem stockt..." (Künstlerkollektiv QUERFELDEIN,
ca.1990).
Neue Präsentationsformen
wie "LandschaftsFundbüro" "Um(welt)lehrpfad" oder "Museum für
Ist-Zeit-Archäologie" (Heinz H.R.DECKER) werden erprobt. Seit 1983 geht
das "Museum für Wegwerfkultur" aus Weddel
(von Bernd LÖBACH-HINWEISER) auf Reisen und karikiert unser abfallreiches
Verhalten. Andere betreiben mit der künstlerischen Untersuchung von Halligen,
Heilpflanzen und Haushalt "Feldforschung" (Lili FISCHER), um
ebenfalls "etwas für die Natur" zu tun. Andere nennen ihre
künstlerischen Recherchen im Innerstädtischen "Heimatkunde" (Manfred
BUTZMANN, etwa 1975ff.) und sensibilisieren für Zusammenhänge von Geschichts-
und Naturräumen bis hin zu Vorschlägen zur Begrünung von sozialistischen
Monumenten oder zum Schutz des Berliner Todesstreifens ("Denk Mal
Grün" bzw. "Mauer Land Lupine", BUTZMANN 1990ff.).
Der Ausbruch
aus dem offiziellen Kunstrahmen bedeutet keineswegs Verzicht auf den normalen
Bilderrahmen. Natürlich behalten traditionelle Formen der Malerei, Grafik oder
Skulptur ihre Berechtigung. Postkarte, Plakat und Foto bewähren sich weiterhin
als Träger künstlerischer Botschaften. Beobachtet man das Zeichenarsenal, so
fallen indes einige formale Änderungen auf, die ganze Kunstkonzepte
charakterisieren können: Künstler verlagern ihre Aktivitäten in den urbanen
Raum und die freie Natur. HA SCHULT nutzt die "magischen Kanäle" der
internationalen Medien, Friedensreich HUNDERTWASSER bekämpft die Gerade, Mo
EDOGA schnürt seine "Alltags-Ikonen" nach traditioneller nigerianischer
Bindetechnik zu eigenwilligen Skulpturen. Den Höhlenzeichnern verwandt fühlt
sich A. R. PENCK und erklärt seine Tendenz zur Archaik mit dem Interesse an der
Kulturrelevanz verschiedener Rassen, der Geschichte der Naturvölker und der
Herkunft individueller Sinnschichten.
In der DDR
erwacht das künstlerische Umweltbewusstsein in den 70er und sucht in den 80er
Jahren immer deutlicher nach Artikulationsmöglichkeiten. Ob bei den
Grenzgängern der Mail-art, in der alternativen
Galerieszene (Berlin, Dresden, Leipzig) oder bei Öko-Kirmes und kleinem
Umweltfest - Umweltkunst führt ein Nischendasein, erreicht nur den
Insiderkreis. Breite Öffentlichkeit bleibt ihr versagt. Aber selbst im
offiziellen Kunstraum sind kritische Darstellungen von Landschaft und Umwelt,
Figuren und Design seit den 80er Jahren nicht mehr auszusparen. Um nur einige KünstlerInnen zu nennen, die sich auch mit
Umweltthemen befassten: Bob BAHRA, Heinz BEHLING, Manfred BUTZMANN, Eva HAAK,
Martin HOFFMANN, Joseph W. HUBER, Wolfgang MATTHEUER, Olaf NICOLAI, Uwe
PFEIFFER, Jürgen SCHIEFERDECKER, Dirk STREITENFELD...
Vom
kritischen Gegenstandssehen hin zu Wahrnehmungsprozessen selbst bewegen sich Strategien
sinnlicher Erfahrungssuche. Mit den verschiedensten Methoden wie
Sinnespfad, -garten, -spiel, Naturbeobachtung und -meditation sollen die
Verkrustungen unserer Wahrnehmungen den Damm zwischen Kognitivem und Affektivem
aufbrechen. Populär geworden sind Konzepte von Joseph CORNELL, Hugo KÜKELHAUS,
Rudolf zur LIPPE oder Gert SELLE. Auch Ausstellungen widmen sich, dem
ästhetischen Zeitgeist folgend, den Wahrnehmungsprozessen ("Risiko ist ein
Konstrukt", 2. Ökologiekongress Dresden/1995; "Das Sisyphos-Syndrom. Hommage für Joseph Beuys. Vorfreude ist
die schönste Freude", Plüschow/Plön, 1995).
Ob nun
Gegenstände, menschliches Verhalten, gesellschaftliche Verhältnisse oder
Wahrnehmungsmechanismen thematisiert und inszeniert werden. Gemeinsam ist den
meisten dieser ökologiebewussten Kunstäußerungen eines: sie wollen eine ganzheitliche
Betrachtungsweise anregen. Das unterstützen verständliche Begriffspaare wie
"Mitwelt" (Klaus Michael MEYER-ABICH) und "Innenweltkrise"
(Rudolf BAHRO) oder philosophische Bildprägungen von den "inneren
Wäldern" (Herman PRIGANN) und der "inneren Wüste" (Ben WARGIN).
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Ökologische
Kunst. In
den letzten Jahren schärft sich zugleich das Bewusstsein dafür, dass einerseits
der Mensch immer ein Naturwesen bleibt, Natur andererseits sozial konstituiert
ist. Reinhard ZABKAs Projekt "Der Wald als Missverständnis..."
(Babe/1992) interessiert sich nicht für die
"unabhängige" Natur, sondern überprüft die natürlichen Seinsqualitäten von Kunst und Gesellschaft, genauer: deren
arrogante Widernatürlichkeit. Solch Perspektivwechsel bestreitet nicht die
Notwendigkeit menschlicher Gestaltung, gestritten wird "nur" um das
zuträgliche Maß. So verschmelzen teils sozialökologische Ideen und praktische
Gestaltungsimpulse.
Herman
PRIGANN übersetzt menschliches Naturverständnis in "metamorphe Objekte",
die als naturbezogene Skulptur in minimalistischer Architektur Natur als
Prozess darstellen. Umwelt- und Landschaftgestaltung gewinnt bei BEUYS oder
WARGIN an Interesse, und wird zum bestimmenden Kunstziel bei den HARRISONs,
Betty BEAUMONT, Mel CHIN... Spätestens hier beginnt ökologische Kunst.
Die Gegenwart
stellt uns vor schwierige Entscheidungen praktischer Lebens-, Raum- und
Landschaftsgestaltung. Welche Produktionsweisen scheinen zukunftsträchtig,
welcher Landbau umweltverträglich? Wie stehen wir zum urbanen Natur- bzw.
Grünreservoir, wie gehen wir mit den gewachsenen Kulturlandschaften um, welchen
Prämissen folgt die Landschaftsplanung, hegen wir die Naturreservate, was wird
aus den aufgerissenen, ausgelaugten und kontaminierten Ländereien? Die einen
streiten für Natur belassene Selbstregulierung, die zweiten für Konservierung,
die dritten für strikte Kultivierung. Eine Frage des Maßes, der Mittel
und der funktionalen Ziele. Ökologischer Umbau in Industriebrachen jedenfalls
braucht Menschenhand wie im Emscher Revier, wo unter Karl GANSER mittels der "Internationalen
Bauausstellung Emscherpark" (seit 1989) der
Hinterhof des Ruhrgebiets erneuert wird (Landschaftspark, Brachenrekultivierung,
Renaturieren der Gewässer, Nutzung der
Industriedenkmäler, ökologische Gestaltung von Wohnanlagen und Arbeitsplätzen).
Kunst kann in
solchen Regionen innovativ wirken, Gefahrenstellen ausloten und sich in
Landschaftsplanung einschalten, um einer ökologischen Kultur den Weg zu bahnen.
Kunst unterscheidet sich, je nach Situation, aber im konkreten Herangehen.
Vorläufer und Anregungen finden sich schon in der amerikanischen Land-art
der 60er Jahre, die mit ihren Raum-Zeit-Skulpturen an entlegenen Orten
großspurig Natur erlebbar macht, während europäische Naturkunst in den
70er Jahren ohne ähnliche Fluchträume sich mit bezaubernden bis nachdenklichen
Arrangements und Zeichen eher unauffällig und still in der Landschaft
einfindet. Auch Kunst im öffentlichen Raum mit ihren Skulpturen,
Installationen, Environments zeitigt originelle Anregungen. Die Einflüsse
bewegen sich zwischen Zeichensetzung und eingreifender Veränderung, die
Übergänge sind fließend.
So will die "Europa-Biennale
Niederlausitz" (seit 1991) im Cottbuser Kohlerevier mit ihren
Kunstvisionen die Kulturlandschaft wiederbeleben, lt. Ausschreibung sind die
Künstler zu "landschaftsgestalterischen" Akzenten in den
Rekultivierungsgebieten aufgefordert. Die Ergebnisse laufen im wesentlichen auf
symbolische Kunstakzente hinaus, die ökologische Zusammenhänge reflektieren.
Sie konstruieren einen Kunstraum.
Beim
Müritz-Pleinair "Natur und Kunst" (seit 1992) innerhalb des
Müritz-Nationalparks - also im großräumigen Naturraum-Schutzgebiet - geht es
darum, "Kunstwerke in die Spannungszone zwischen Innovation und
verletzbarer Schöpfung zu stellen. Es soll kein Skulpturenpark neben dem
Nationalpark entstehen. Die schmerzliche Trennung von Mitwelt und Mensch kann
jetzt nicht weiter manifestiert sein. Wir suchen das Miteinander - nehmen
vergessene Traditionen unserer Vorfahren auf: seltene, unersetzliche Stätten,
Heiligtümer durch Kulturzeichen zu bewahren..." Hier scheinen die
Vergänglichkeit und das Ineinanderfließen von natürlichem Kunstmaterial und
selbst überlassener kulturgeprägter Naturlandschaft charakteristisch. Sie
unterstreichen den Naturraum.
Einen
gänzlich neues Herangehen, zumindest vom Ansatz her, verfolgt das
internationale Künstlernetzwerk Art in Nature (seit 1989). Art in
Nature plädiert für ein zukunftsoffenes Denken und Gestalten und hebt den
Gegensatz von Kunst und Natur auf. Erwähnt wurden bereits Betty BEAUMONT (Bohemian Forest,
1992 ff.) und Helen und Newton HARRISON (Muldeauen-Einzugsgebiet,
Bitterfeld/1992 ff., A Green Heart Vision, Niederlanden/1994 ff.). Sie
betonen den landschaftsgestaltenden Kulturraum.
Natur und
moderne Risikogesellschaft werden als menschlich geformt und subjektives
Wahrnehmungskonstrukt erkennbar. Wenn einerseits die Umweltkrise eine
Kulturkrise ist, muss sich die Kunst ändern, andererseits ist Natur krisenfähig,
entwicklungsfähig, gestaltungsfähig. Art in Nature folgt weder dem
Traum von Arkadien, noch dem Denkmalschutz, noch der Schlusssequenz eines
ökologischen Infarkts. Die neuartige Qualität ökologischer Kunst wird im
Unterschied zur Land-art definiert. Während die Land-art die Erde symbolisch
besetzt, zerschneidet, verändert und hinzufügt, füge sich Art in Nature
ein, argumentieren deren Initiatoren Dieter RONTE und Vittorio FAGONE. Sie will
das Zusammenspiel, sucht die Zwiesprache, strebt nach bedächtiger Integration
in die Natur. Die Kunstsprache entwickelt sich am Ort und mit den natürlichen
Materialien. Dabei entstehen Übergänge zwischen künstlerischem und ökologischem
Arbeiten. Hiermit korrespondieren schließlich die Münchener Projekte von "Kunst-Kultur-Ökologie",
die - ohne eine holistische und spirituelle Sicht zu verleugnen - die
Spurensuche und Gestaltungswillen ausweiten und eine kunstgetriebene
ökologischen Sanierung nicht ausschließen.
Mel CHINs "Revival
Fields" beleben mit pflanzlichen "Hyperakkumulatoren" industriell
verseuchte Böden wieder. Sie verstehen sich visuell noch als Skulpturen,
bedingen aber interdisziplinäre Zusammenarbeit mit Naturwissenschaftlern. Wir
sind wieder bei BEUYS und, vielleicht, ein Stückchen weiter?
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Versuchen wir
eine Definition von Umweltkunst und ökologischer Kunst. Die
Bezeichnung "Umweltkunst" ist allgemein seit den
70er Jahren gebräuchlich. Sie kennzeichnet wesentlich den inhaltlichen Bezug
auf menschliche Umweltzerstörungen und aufmüpfiges Widerstandspotential für
eine naturnahe Welt.
Jürgen CLAUS
beschreibt "Umweltkunst" als Kunst, bei der der
Künstler im eigenen Auftrag die Öffentlichkeit sucht, innere und äußere Welt in
Einklang bringen will und dabei die Kunst "in den urbanen, den
Landschafts- und den Medienbereich hineinführt". Der Umweltkünstler ist
vorurteilsfreier Zeitgenosse ohne Endzeitstimmung aber mit Visionen,
"...der das Grün der Landschaft, das Blau des Meeres will, aber auch die
künstlerische Figur aus dem Unbekannten seiner selbst entwickeln will..."
Bernd
LÖBACH-HINWEISER prägt Ende der 70er Jahre den Begriff "Umweltkritische
Kunst", der (als großgeschriebener Eigenname) auf die in den
70er Jahren aufkommende umweltorientierte gesellschaftskritische Kunst hinweist
und damit zugleich seine eigene künstlerisch Kritik der Wegwerfkultur
etikettiert. Sein kunstgemäßes Recycling von Wegwerfmaterialien mittels
Grafiken, Objektkästen, Objekten und Aktionen, führt zu visuellen Erlebnissen,
die bewusstseinsbildend und handlungsanregend sind. Anders gesagt betreibt er
gesellschaftskritische Reflexion mit bildnerischen Mitteln (sowie eigenem
Museum, Verlag, Stempeln...).
Ich (Lebus) bevorzuge
den Terminus "umweltkritische Kunst" (als Tendenz bzw.
Aspekt kleingeschrieben). Er bezieht sich im weiteren Sinne auf die
gesamte Kunst(geschichte), umfasst die Reflexion von
Natur und ökologischer Zusammenhänge und reicht von der Trauer vom
"Verlust des Paradieses" und apokalyptischen Stimmungen über
Störfallbilder bis hin zu Wahrnehmungsprovokationen und lebensfreundlichen
Visionen. Dieses Herangehen bevorzugt - wie etwa BUDERATH/MAKOWSKI oder Jost
HERMAND vorführen - einfach eine andere, eben "ökologische Lesart"
der Kunstbetrachtung. Im engeren Sinn gehören zur umweltkritischen Kunst
das bewusste Aufgreifen von Umweltthemen und deren multimediale Darstellung
seit Ende der 60er Jahre. Aus Sicht der Ästhetik sind dabei
gesellschaftskritische Fragen von Wahrnehmung, Konsum, Lebensstil,
Bedürfnissen, Maß und Genuss mitzudiskutieren.
Zur "ökologischen
Kunst" lassen sich künstlerische "Pflanzaktionen",
"Naturheilkunde" und "Landschaftspraxis" zählen. Während Umwelt(kritische)kunst mit Befunden sensibilisiert und geistige
Handlungsräume baut, schreitet ökologische Kunst behutsam von der
Diagnose zur Therapie kranker Landschaft. Sie pflegt, bewahrt, revitalisiert
Lebensräume im ursprünglichen Sinne des Wortes "Kultur" und sie
probiert eine Balance von Menschenmaß und Naturgestalt
("Naturallianz" Ernst BLOCH). Art in Nature und die Münchener Kunst-Kultur-Ökologie-Projekte
sehen hierin ihr wesentliches künstlerisches Betätigungsfeld. Aber auch die
"grünen" Forschungen und Aktionen von Lili FISCHER, Ben WARGIN, Klaus
STAECK oder Bodo BERHEIDE verfolgen ähnliche Ziele. Der "Umweltkunst"
entspricht im Amerikanischen die reflektierende "environmental-art", der "ökologischen Kunst" die
vorsichtig eingreifende "ecologycal-art".
(Der Terminus Ökokunst wird dagegen nur
abwertend, im Sinne von Ökokitsch, d.h. billiger Illustration, gebraucht)
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Thesen.
Kunst & Ökologie & Umweltbildung (1996)
1. Es gab und
es gibt kein abgesegnetes Naturideal und ebenso wenig ein verbindliches
Kunstideal. Gegenwärtig erleben Kunst & Ökologie als Thema, Titel und
Arbeitsweise Konjunktur, da sind Reibungen zwischen verschiedenen Tendenzen
vorprogrammiert. Für Umweltbildung ist wichtig, dass sie die Palettenbreite im Blick hat und für ihr
Sensibilisierungsprogramm nutzt.
2. Der
Pluralismus von Kunstansatz, Interpretation und Gestaltungsvorschlag bleibt in
einer mehrdimensionalen Lebenswelt und vielsinnigem Naturorganismus
unverzichtbar. Auf Michel de MONTAIGNEs Ausspruch von der "Natur als
Lehrmeisterin" können sich sowohl die konservativen Anhänger der reinen
Naturformen (biologische Kunst und Ästhetik von Ernst HAECKEL, Karl BLOSSFELDT,
Bernd LÖTSCH, Rupert RIEDL) berufen, als auch diejenigen, die die autarke
Kunstform verteidigen und zugleich für naturnahe Entwicklungen plädieren.
3. Die
Grenzen zwischen Land-art, Naturkunst Umweltkunst und ökologischer Kunst sind
fließend. Divergierende geistige Begründungen schließen keineswegs ähnliche
Kunstgestalten aus. Ihr gemeinsamer Nenner scheint das andere Maß im Gegensatz
zum forsch-fröhlichen "Schneller, Weiter, Höher". Ihre inhaltlichen
und formalen Unterschiede sollten als qualitative Potenz begriffen werden, sich
Umweltproblemen von verschiedenen Seiten zu nähern.
4. Motive
schöner Landschaft, uriger Bäume, intakter Natur sind ebenso wenig überholt wie
Apokalypsen, wie mancher ökologiebewusste Kunstkritiker meint. Nur: die
Welt-Bilder sind verteilt, es heißt Werbung mit der Natur kontra
Umweltkunst für und mit menschengeprägter Natur.
5. Paradoxien
(die Gleichzeitigkeit von Gegensätzen) gehören zur Kunst. Das Globusmotiv
erlaubt Begreifen des globalen Zusammenhangs, es kann aber auch individuelle
Verantwortung verdrängen und von lokalem Handeln entlasten. Landschaftstherapie
kann in -tortur umschlagen. Ökologische Kunst beeinflusst als kultureller
Eingriff die biologische Mannigfaltigkeit. Werden bestimmte Verfahren bis zum
letzten ausbuchstabiert oder allein favorisiert, beispielsweise bloße
Spiritualität oder stringente Gestaltung, leiden Mensch und Natur.
6. Wird die
subjektive ästhetische Wahrnehmung betont, kann die gegenständliche Welt aus
den Augen verloren werden. Die Entlastung und Entgiftung unseres vollgestellten
Planeten stellt aber die zentrale geistige und gegenständliche Herausforderung
dar. Denn die ökologischen Bedrohungen sind nicht eingebildet, nicht simuliert,
nicht imaginär, sondern höchst faktisch.
7. Auch in
der Kunstszene bilden Modernisierung und Avantgardismus gelegentlich nur eine
bequeme einlinige Anpassung an Macht und Markt. Umweltkritische Kunst streitet
dagegen für Veränderungen, schließt aber Demut vor der natürlichen Schöpfung
ein. Sie orientiert strategisch auf ganzheitliche Lebensformen, verlangt
Phantasie, Toleranz, Flexibilität...
8. Der Club of Rome erklärt eine angemessene
Bildungsstrategie zu einer Hauptstrategie und unabdingbaren Voraussetzung bei
der weltweiten Lösung von Umweltproblemen. Kommunikationsfähigkeit und
Bereitschaft zur Integration und Kooperation; Vorbereiten und Aushalten von
Wandel und instabilen Verhältnissen; globales Denken und Vorstellungsvermögen;
sowie sozialer Sinn und Engagement sind deren Kernpunkte. Genau darauf aber
richtet sich das Sensibilisierungspotential von Umweltkunst.
9. Hat KANT
recht? Das Empfinden von Naturerhabenheit braucht mehr Verständnis als das Bestaunen
von Kulturräumen. Die Entscheidung für naturbelassene, naturnahe oder
kultivierte Landschaften stellt immer wieder eine komplexe Herausforderung dar.
Wenn die menschliche Gattung überleben will, muss sie den Naturgrund unseres
Seins respektieren und Wege zum nachhaltigen Wirtschaften einschlagen.
Letztlich muss sich menschliche Gestaltung verträglich in Natur einpassen.
Kunst als Medium der Umweltbildung vermag dazu einen emotional anregenden
Beitrag zu leisten. Es bleibt ein widersprüchliches Unterfangen, denn: "Die einen lieben Bäume, die
anderen Geometrie..."
Von der
Höhlenmalerei zur ökologischen Kunst. Kurze Einblicke in das Verhältnis von
Mensch und Natur in der Bildenden Kunst.
[In: Art d´Eco. Kunst als Medium der
Umweltbildung. Hrsg. Andreas Pallenberg. Bonn:
Wissenschaftsladen 1997, S. 16-31]
Autor: Dr.
Lebus (1996)
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